[Aus Respekt für die befragten Musikerinnen und Musiker fragen Sie bitte, falls Sie diese Interviews zitieren oder weiter verwenden wollen, unbedingt bei den Befragten und dem Autor (C.L. HÜBSCH) um Erlaubnis. Vielen Dank für die Solidarität! Viel Vergnügen beim Lesen dieser gerne bereit gestellten Lektüre.]
CLH: „Thomas, was sind deine Qualitätsmerkmale für improvisierte Musik?“
TL: „[lacht] Qualitätsmerkmale für improvisierte Musik? Oder Musik im Generellen? …schwierig to pin down, wenn man so sagen könnte, weil, sich jetzt auf Kriterien festzulegen, das klingt dann wie „nur wenn dieses Kriterium erfüllt ist, dann passiert es“. Das sehe ich ein bisschen schwierig.“
CLH: „Du hast ja gerade gesagt, „dann passiert es“. Was passiert denn dann?“
TL: „… es hat ja immer mit einer gewissen Meta-Ebene zu tun, von der wir nicht genau wissen, wie man sie definieren soll, also wenn etwas geschieht, was uns ein bisschen jenseits bringt… Aber das ist ein Ansinnen, was ich eigentlich nicht vordergründig verfolgen würde, das ist etwas, was sich dann ergibt. Das ist etwas, was ich auch schwer in Worte kleiden kann aber es hat zu tun mit einer gewissen Meta-Ebene. Deswegen kann ich das jetzt nicht explizit nur für die improvisierte Musik, aber ich kann das auch für die improvisierte Musik anwenden. Wenn ich die Mondschein-Sonate spiele, auf dem Klavier, muss diese Ebene auch passieren, sonst passiert die Mondschein-Sonate nicht. Das heißt, es hat etwas damit zu tun, ob etwas transformiert wird auf eine andere Ebene.“
CLH: „Für Dich, als Spieler?“
TL: „Auch als Hörer, denn wenn der Spieler das nicht macht, wird der Hörer das auch nicht erleben, zumindest nicht diese Ex – tase. Extase hier nicht im Sinne „jetzt flipp ich aus“, sondern für mich hat die Kunst immer etwas einem Moment des Über -Etwas – Hinaus – Schreitens zu tun, innerlich. Das muss irgendwo passieren, egal ob es in der bildenden oder klingenden Kunst ist. Es muss irgendwas passieren, was uns mit unserem Bewusstsein in einen anderen Raum bewegt….“
CLH: „Extase….ein sehr schönes Wort für aussen stehend…“
TL: „Das als scholastische Formulierung zu bringen, verweigere ich mich aber. Das kann man auch nicht scholastisch vermitteln, sondern das ist eine Frage von Künstlertum. Das ist eine Sache, die auch ein langer Weg ist, ein Erfahrungsweg, wo man dahin kommt. Aber ich finde es ist ein wesentliches Kriterium eines Musikers, dafür irgendwie ein Gespür zu haben, davon zumindest eine gewisse Kenntnis zu haben und zu wissen, dass das existiert [lacht]. Und ich finde es eigentlich ganz schwierig, wie ich schon sagte, diese Worte überhaupt zu verwenden. Das Moment der Extase finde ich schon einen interessanter Aspekt im Musikmachen, jetzt nicht des Ausflippens, oberflächlich, sondern der Moment des außer-sich-seins, des verzückt-seins oder sowas, das finde ich einen Aspekt der mich immer interessiert. Ich könnte subsumieren: wenn ich gute Konzerte erlebt habe, also jetzt auch als Hörer, dann hatte das auf jeden Fall diese Komponente. Und zwar ist es jenseits für mich der Stile. Das ist stil-jenseits. Das kann im Beethoven Streichquartett genauso gut passieren wie in einem Free-Jazz-Konzert, im Jazzkonzert, in Rockmusik, in improvisierter Musik, in der Neuen Musik.“
CLH: „Aber was macht dann die improvisierte Musik überhaupt aus?“
TL: „Was die improvisierte Musik ausmacht ist das Vergnügen, mit anderen oder mit sich selbst in dem Zusammenfallen von musikalischer Kreation und Ausführung und dem Spiel damit zu agieren. Also wenn ich jetzt komponieren täte, wär das ein ganz anderer Vorgang von der Aktion her. Das heißt, das Vergnügen oder die Praxis des Improvisierens oder der Echtzeitmusik (oder wie immer man das jetzt auch nennt) ist, dass ich als Spieler oder als Ausführender zugleich der Kreator der Musik bin und auch in unmittelbarer Vermittlung bin mit der Zielgruppe, dem Hörer (der ja auch ich selbst bin, der Hörer). Es richtet sich ja an zwei Adressen, auch an die Mitspieler. Das Vergnügen ist dieses Spiel zusammen.“
CLH: „Ich möchte da einhaken. Inwiefern liegt die Kommunikation, bzw die Kommunikations-fähigkeit der Musiker dieser improvisierten Musik zu Grunde? Liegt die der überhaupt zugrunde, müssen die MusikerInnen kommunizieren können, bzw ist das eine Kommunikationsform, weil du ja gerade selber gesagt hast „die müssen sich berühren“ oder wie hast Du es ausgedrückt?“
TL: „Nein, das habe ich nicht gesagt. Ich habe nur gesagt, „das ist das Vergnügen mit anderen zusammen sich in einem Spiel zu befinden“. Man spielt das Spiel damit, an diesem Gestalten. Ob man nun da sagen würde Kommunikation….das weist für mich schon zu stark in eine bestimmte Richtung, nämlich dass es kommunikativ sein müsse. Das denke ich nicht unbedingt, zwingend, sondern es ist einfach nur ein Spiel, wo jetzt mehrere forces in motion sind, sprich Spieler A, B,C…und ob das nun kommuniziert oder nicht kommuniziert…
Also unter Kommunikation würde ich verstehen, dass man etwas mitteilt, austauscht, Frage, Antwort usw. Deswegen würde ich da einfach nur sagen, man spielt miteinander mit den Materialien usw. und der Überraschung und der Verzückung, die man da erleben kann, was dann passiert in der Aktion, im Verlaufe dieses Prozesses.“
CLH: „Kommt denn Kommunikation nicht auch ethymologisch von etwas teilen, einen Raum teilen oder so?“
TL: „Das stimmt, kommunizieren ist einfach teilen, ja, das ist richtig.“
CLH: „Ich mein nur weil Du sagtest du versuchst eine Grenze zu ziehen und das finde ich interessant und ich glaube diese Grenze hat mit der Frage nach Informationen, „was ist Information und welche Art von Informationen werden wie angenommen oder nicht angenommen“ eher zu tun, also ob kommuniziert wird. Aber wenn ich jetzt weiter einhaken darf, vielleicht führt das ja dann ein Stück weiter: Spielt dabei die Psychologie eine Rolle oder spielt die gar keine Rolle?“
TL: „Gar keine Rolle würde ich nicht sagen. Also ich weiß jetzt nicht, was man unter Psychologie verstehen müsste, aber zumindest wenn ich jetzt darunter verstehe individuelle psychologische Beschaffenheiten…“
CLH: „…das, was zwischen den Spielern passiert…“
TL: „Also nicht marktpsychologisch, nicht im Sinne von Psychologie als Strategie. Als Bestandteil individuellen Sich-Befindens, also da finde ich spielt Psychologie auch eine Rolle. Ich meine, wie einer sich befindet, kommt auf die Bühne, was da emotionell passiert, im weitesten Umfang, klar, das ist unausweichlich. Aber ich halte das eh für einen äußerst komplexen Prozess, der so viele Aspekte mit ins Spiel bringt und die gleichzeitig in verschiedenen Intensitäten oder Graden beteiligt sind und zwar wechselhaft, also durchaus mit Verschiebungen, sprich, ob da jetzt intellektuelle, intuitive, emotionelle, physische Aspekte, um mal mit diesen Elementen zu sprechen. Das kommt ja alles zu unterschiedlichen Zeiten, zu unterschiedlichen Gewichtungen und Balancen zum Tragen, in dem Prozess. Ein mentaler Aspekt wäre zum Beispiel ein gewisses Formbewusstsein, Materialbewusstsein wie „ah ja, jetzt habe ich vor einer Minute dieses Material gespielt, jetzt bin ich gerade hier und ich könnte mir auch folgendes in der nächsten Zukunft vorstellen“, also so ein architektonisches Bewusstsein würde ich jetzt erstmal als so ein mentales sehen. Dann kommt hinein, was man gerade so erlebt und fühlt und die emotionalen Elemente, irgendwelche Bilder tauchen plötzlich auf während man spielt oder beim Hörer auch. Das kann was ganz anderes sein, als man selber empfindet, das heißt diese gefühlsmäßigen Ebenen spielen auch eine Rolle in dem Fluidum; dann kommen die körperlichen Aspekte mit rein, dass Unfälle passieren, das man plötzlich eine schnelle Handlung macht, die schneller ist als man denkt, das würde ich als physisch bezeichnen. Und dann kommt die Intuition, das heißt der spontane, geniale Einfall, intuitive Richtungsänderungen, die man sich gar nicht überlegt hat, die ich auch nicht als Gefühlsausbruch bezeichnen würde, sondern die plötzlich wie ein Geistesblitz hineinschießen, das würde ich mal als Intuition bezeichnen.
Diese ganzen Aspekte gehen in einem selbst ab, und dann in Korrelation, in Gleichzeitigkeit – das ist natürlich ein ähnlicher Prozess, aber völlig andere Reglerstellungen – bei anderen. Was dann passiert, das bezeichne ich als das Interessante bei dem ganzen Spiel. Denn das ist ein Spiel. Also wie dieses Spiel fällt, das macht halt einfach auch Spaß. Und wenn man dann Glück hat… weil, erzwingen kannst Du die Meta-Ebene nicht, das ist meine ganz klare Aussage, dass du das nicht forcieren kannst.
Und ich spüre auch, wenn etwas gekünstelt ist. Das muss man auch entwickeln. Es gibt das manchmal – gerade im Free-Jazz ist das dann üblich – dass dann gepowert wird, obwohl da gar keine Power ist. Das sage ich jetzt mal so. Da wird eine Dynamik abgedonnert, die eigentlich gar keinen Hintergrund hat. Da fehlt die Hintergrundstrahlung. Aber wenn es wirklich passiert, dann ist es fantastisch. Es ist ein interessantes Thema sich darüber verbal auseinander zu setzen. „
CLH: „Wenn Du [beim Improvisieren] Klänge spielst, sollen die von deinen Mit-Musikern in irgendeiner Art und Weise verstanden werden oder was erwartest Du, was die mit den Mit-Musikern machen? Ich rede jetzt mal bewusst nur von den Musikern. Was würdest Du erwarten, wenn Du jetzt einen Klang spielst, wie das bei deinen Mit-Musikern ankommt?Willst Du, dass deine Signale ankommen oder ist es dir vollkommen wurscht?“
TL: „Nein, ganz wurscht ist das ja nicht. Was man macht, tut man ja beitragen. Wir reden ja jetzt über die Gruppen/das Gruppenspiel, ja? Also, in dem Prozess ist es ja so, dass sich etwas anbietet. Also ich werfe etwas hinein, aus den vorher beschriebenen Parametern motiviert, wie ich sie eben beschrieben habe. Und umgekehrt nehme ich wahr, was die anderen machen. More or less, so, wie mein Fokus gerade ist. Und es gibt eine Korrelation zwischen diesen Dingen. Wenn das jetzt zum Beispiel ein Trio ist, sind das für mich schon mal drei Prozesse die da abgehen. Und diese Prozesse gehen mehr oder weniger zusammen. Was heißt das? Das heißt, die individuellen Prozesse verlaufen in Korrelation zu dem Gesamtbild, das man wahrnimmt vom gesamten Prozess. Das heißt der eigene Prozess kann fluktuieren aufgrund der Impulse, die von den anderen Teilnehmern kommen.“
CLH: „Und Impulse sind interpersonell?“
TL: „Nein, das sind für mich eigentlich klangliche Impulse.“
CLH: „Ein Klang wirkt auf einen anderen Klang?“
TL: „Ja. Oder Klangprozesse.“
CLH: „Kannst Du das loslösen von den Spielern?“
TL: „Nein. Also was heißt das? Nein, ich würde sagen ich spiele mit bestimmten Leuten und mit bestimmten Instrumentarien. Insofern ist der Klang auch die Art, wie einer eine Handschrift hat, die sowohl an seiner Person liegt, als auch an dem Instrument, an dem Klang, den sein Instrument abgibt. Es ist ein Unterschied, ob ich mit einem Table-top Gitarre spiele mit Tim Hodgkinson oder mit Phil Minton mit der Stimme oder mit der Tuba. Es sind andere Klangwelten zunächst mal, und auch andere Personen, die da agieren. Und eigentlich finde ich es am spannendsten, wenn man versucht, unter Respekt der eigenen Charakteristik, die man herausgebildet hat über Jahre, trotzdem wieder darüber hinaus zu schreiten, hinauszuscheren, die eigenen Klischees zu transformieren. Das finde ich schon einen Aspekt von dieser Echtzeit-Musik, dass man über die eigenen Kodizes oder Mechanismen versucht, heraus zu schreiten obwohl man sich auch gleichzeitig respektiert. Diese Paradoxie, mit der Leben wir natürlich. Und damit muss man auch leben, ich kann dem nicht willentlich ausweichen. Das würde ich meinerseits glaube ich ablehnen, dass ich sage ich mache jetzt einen anderen Stil und ich lehne jetzt besondere oder bestimmte Sachen komplett ab, das ist für mich nicht unbedingt die Lösung.“
CLH: „Gibt es in Wien einen spezielle Improvisations-Sprache oder – Schule oder einen bestimmten Improvisationsstil, den Du als typisch für diese Stadt bezeichnen erlebst?“
TL: „[denkt nach] Würde ich eher mit Nein beantworten. Wenn es bestimmte Richtungen gibt, die ich hier benennen würde, dann würde ich sagen, die finde ich auch woanders.“
CLH: „Würdest Du bei irgendwas sagen: Typisch Wiener Impro?“
TL: „[Pause] Nein.“
CLH: „Oder irgendwelche Spieler? Gibt es einen bestimmten Musikertypus in der improvisierten Musik, der für Wien typisch wäre?“
TL: „Wir reden ja jetzt von der neuen improvisierten Musik. Es gibt Leute, die machen schon was Wienerisches, explizit. Ich kenne einen Pianisten, der macht immer wieder wienerische Themen. Aber wenn man jetzt unseren Arbeitsbereich betrachtet, die neue improvisierte Musik, (wenn man das mal so benennen möchte,) dann kann ich nur sagen, dass ich das, was ich hier sehe, auch in anderen Großstädten oder Metropolen gesehen habe, ob es London ist, Paris oder Berlin. Das ist ja einfach die Materialfrage und die Entwicklung, die man in den späten Neunzigern bis Ende 2010 hatte [und jetzt öffnet sich das zum Glück wieder. Jetzt sage ich „zum Glück“ extra], also die Reduktion. Es ist geschehen und man geht weiter. Das war definitiv hier auch spürbar. Aber das ist für mich jetzt nicht ein spezielles Wiener Phänomen. Diesen Reduktionsaspekt – das Wort finde ich eh auch nicht treffend und so berauschend, diese reduzierte Spielweise, flache Spielweise – das hatte man ja in Berlin, London, Paris, Wien. Das hatte man überall eigentlich. Vielleicht noch am wenigsten in Köln.“
CLH: „Naja, aber es könnte ja auch sein, dass die reduzierte Musik aus Wien anders klang als die reduzierte Musik in Berlin.“
TL: „Man könnte vielleicht folgende Beobachtung machen, wobei ich das auch in Berlin beobachte: Teilweise kam nach dieser Phase auch dieses Interesse an einem Song und der Popkultur so bisschen ins Geschehen, also, dass man wieder anfing, Akkorde zu spielen zum Beispiel, und Akkordsequenzen oder auch Songs zu machen, song-artige Sachen. Dann ist es für mich aber auch schon nicht mehr so arg improvisierte Musik in diesem Sinne. Ich scanne grade durch, ob mir etwas aufgefallen ist in den letzten fünf Jahren hier, aber ich empfinde jetzt nicht etwas als explizit wienerisch. Ich bin sehr geneigt zu sagen: ja natürlich ist das wienerisch, weil die Leute sind Wiener, der Franz und der Burkard…das sind Österreicher und, das ist ganz klar, die sprechen diese Sprache.“
CLH: „Aber es gibt nicht so einen Wiener Dialekt in der improvisierten Musik?“
TL: „Ne, würde ich jetzt nicht sagen. Kann ich nicht so in der Musiksprache ausfindig machen.“
CLH: „Vielen Dank für das Gespräch, Thomas.“
[I herewith kindly ask you to respect the authors rights especially of the interviewed musicians and not to use it without asking our permission. Thanks for your solidarity!]