FRANZ HAUTZINGER

Foto: Daniel Cemborek

[Aus Respekt für die befragten Musikerinnen und Musiker fragen Sie bitte, falls Sie diese Interviews zitieren oder weiter verwenden wollen, unbedingt bei den Befragten und dem Autor (C.L. HÜBSCH) um Erlaubnis. Vielen Dank für die Solidarität! Viel Vergnügen beim Lesen dieser gerne bereit gestellten Lektüre.]

CLH: „Wir sprechen mit Franz Hautzinger und seine Qualitätsmerkmale für improvisierte Musik. Gibt es Qualitätsmerkmale für Improvisation und welche sind das bei dir, wenn du improvisierte Musik hörst, im Konzert zum Beispiel?“

FH: „Ja, ja, doch sehr klar. Wenn ich höre, wenn jemand spielt [lacht]. Na ich höre das Wissen, über das diejenige Person verfügt, die gerade spielt und den Umgang mit Form, Material, Struktur und Psychologie und individuelles Lebensdasein. Und das sind meine Levels, je nachdem, wie jemand an was gearbeitet oder was erfahren hat. Das kann man beim Zuhören sehen und wenn das ganz oben ist, ist das normaler Weise auch sehr gut, weil es beinhaltet das Wissen über die Einzelteile des Ganzen, und die Reflektion. Wissen ist auch immer eine Reflektionsgeschichte. Wenn ich es bei jemanden sehen kann – das ist der Weg den man arbeiten muss -, weiß ich auch, wie es geht und wie man es machen kann, und dann, was es für Auswirkungen hat. So denke ich über das. Und dann wäre es eigentlich auch schon zu ende [lacht].   Und wenn man das alles super bedienen kann, nämlich auch im Sozialen – weil es ist ein soziales Spiel, das wir hier betreiben; auch ein politisches, für die Zukunft immer mehr ein politisches – wenn man das gut bedienen kann, dann, glaube ich, kann man eine schöne Musik machen, in Form von Musizieren, von sehr positivem sozialen Verhalten und hohe Levels erreichen. Also mein Persönliches ist dann dazu die Meisterschaft, wie in verschiedenen Disziplinen, ob Sport oder Musik, es gibt immer eine Meisterschaft. Einfach nur die Meister der klassischen Virtuosen, die Meister der Freejazz-Virtuosen oder Nicht-Virtuosen, die Meister der Disziplinen, das ist immer was sehr ähnliches. Das gefällt mir. Traumlevel ist natürlich dass man auf einem hohen Level musizieren kann mit Leuten, die ein möglichst noch höheres Level haben und das sehr inspirierend-interaktiv miteinander tut. Und die joy von uns ist, dass durch dieses Wissen kann man das bedienen und man kriegt natürlich auch etwas. Es ist ein Geben und Nehmen, und das gefällt mir so gut an der improvisierten Musik.“

CLH: „Inwiefern liegt die Kommunikation oder die Kommunikationsfähigkeit eines Musikers oder einer Musikerin gerade der improvisierten Musik zu Grunde. Ist es da anders als bei anderen Musiken oder ist es da genauso. Oder ist es überhaupt nicht der Fall und Kommunikation ist ein Gerücht?“

FH: „Ich glaube, dass es ist in jeder Form von Ensemble ideal wäre, wenn die erstens einmal nicht nur kommunizieren sondern offen kommunizieren, also das eine Auseinandersetzung ein Abenteuer ist und nicht ein Horror.“

CLH: „Musikalisch oder verbal?“

FH: „In jeder Form. Ich rede von den 100 [Prozent], von dem Idealfall, dass man miteinander das alles echt machen kann und will – inklusive aller Auseinandersetzungen, die ganz wichtig für alle sind. Ich finde die Auseinandersetzungen sind das Produkt von morgen. Wenn es keine gibt, dann ist es auch gleich wieder weg. Der Idealfall wäre totale Kommunikation. Ich suche mein Leben seit meinem 40sten Geburtstag so auf: ich mag nur mit Leuten arbeiten, die das auch wollen, also dieses Kommunizieren, sich auseinandersetzen, gern streiten, gern alles, gern alles, aber ernsthaft, sozusagen in einem 1:1 Respekt miteinander kommunizieren, also im Geistigen, im Quantischen, im Molekularen, im Musikalischen, im Persönlichen, im Psychologischen, in allen Levels, die es gibt. Das können nur die Master, muss man dazu sagen, das ist bei mir ganz klar, alles erfüllen können nur Master. Und Master ist man nicht nur durch Zufall oder sonst was. Also da bin ich dann bei diesen Guru-Mastern, obwohl ich gar nicht so ein Guru Fan bin. Ich finde es gut, aber tu mir selber mein Ding. Und diese Rezepte gibt es ja eh überall, ob das der Baumeister oder der Handwerker oder der Maler oder der Hinterglaser oder der Vorderglaser oder Semi-Kunst,- oder Halbkunsthandarbeit, egal, bis zum Dürer, wie gut der einen Bleistift führen konnte und wie der Bleistift von Solti, wie der dirigiert hat – also Bleistift als Dirigenten-Stift oder wie Miles Davis seinen Pinsel hatte, unendliche, überall. Es muss auch so sein für mich. Es muss ein Rezept sein, dass diese Meisterschaft beinhaltet und je älter wir werden, desto mehr verstehen wir es. Und ich finde es gut, dass es so ist.“

CLH: „Spielt die Psychologie eine große Rolle beim Improvisieren?“

FH: „Ja, ja, das ist die Masterdisziplin für mich. Nämlich das improvisierte Musik spielen ist für mich ein technisches Bild der Strategien (wir nennen jetzt eine bestimmte Art von Musik spielen improvisierte Musik plus/minus). Technisch heißt für mich Dynamik, laut gegen leise, ob gewollt oder nicht, spielt es im Bereich der Strategien oder kann eine sein. Wenn dann Psychologie dazu kommt, kann es auch passieren, dass jemand sauer ist, weil jemand einen zu lauten Ton gespielt hat. Gut, ich geh wieder zurück auf null…   …Ich glaube, dass die ganze improvisierte Musik – und das liebe ich so sehr daran – eine Füllen an Ansammlungen von Strategie in verschieden Disziplinen ist, also nicht nur die technische Lautstärke oder Raum, Zeit, also die physikalischen, sondern Psychologie, wie ich Töne schicke. Wir wissen, es hat eine Auswirkung und wir leben das so, ich zumindest, wenn das alles reagiert und das alles auch sensibel ist und eine Meisterschaft birgt, das alles verstehen zu können. Das ist das Spiel. Schönheit der Klänge, Schönheit der Struktur, Schönheit des Nicht-Wissens. Das finde ich super.“

CLH: „Wenn du mit jemanden improvisierst, sollen dann deine Klänge von deinen Mitspielern verstanden werden oder was wäre dann eigentlich „verstehen“? Oder ist das wurscht, ob die das verstehen? Eigentlich hast du es ja gerade schon angerissen, als du gesagt hast, das sei die Virtuosität, auf all diesen vielen Ebenen gleichzeitig anknüpfen zu können. Könnte man das mit dem Wort „verstehen“ bezeichnen?“

FH: „Ja, es gibt natürlich ein „verstehen von“, natürlich: Nehmen wir den Apparat Orgel. Wenn man diese Orgel bedient oder nicht, man tut es sowieso, das alles, worüber wir gerade geredet haben. Auch wenn ich nicht denke und nichts weiß, tue ich das automatisch. Die Orgel, sie zu bedienen oder nicht, ist eine schöne Geschichte…“

CLH: „Also die Orgel der Möglichkeiten, der Ebenen.“

FH: „Der Ebenen und Möglichkeiten, ganz genau. Wenn man einfach so spielt, ohne was zu denken, macht man das ja sowieso alles. Und man tut es so, wie das Herz oder Geist oder wie der Typus des Erzeugers ist. Mit welcher Intention das erscheint, wird das wahrgenommen. Ich glaube, da gibt es überhaupt keinen Irrtum, weil  – das finde ich an der Musik so gut – das ist die einzige Musik, wo kein Kostüm notwendig ist, wo kein Kostüm von Vorteil ist. Also Kostüm in Form von Reglement, wie es sein sollte.“

CLH: „Aber „verstanden“ werden willst du schon, wenn du jetzt einen Ton spielst, einen tiefen, gehauchten.“

FH: „Ja.“

CLH: „Soll der „verstanden“ werden von den Kollegen?“

FH: „Meinst Du grundsätzlich?“

CLH: „Ja, ob du das Gefühl hast, ich spiel da jetzt einen Ton und der versteht mich.“

FH: „Egal, ob man denkt oder nicht, es wird einer gespielt und der kommt wo an. Das heißt, er wird wahrgenommen. Die Intention, was ich dann will, das sind die Spiele und das sind wieder unsere Levels: „was ich damit tue“. Und dieses „was ich damit tue“ ist schon eine Strategie. Ein Ton ist eine Strategie gegen den Raum, gegen silence, der zweite Ton macht schon ganz viel. Wenn es einen dritten gibt, haben wir schon einen Rhythmus. Dann haben wir alles. Aber das wollte ich gar nicht sagen.

Ich glaube, dass die Improvisier grundsätzlich… Und das finde ich wunderschön, wenn man so einen Fall hat von Leuten, die das gerne mögen, etwas zu teilen, nämlich eine Musik zu erfinden, zu formen, zu gestalten und sie das schön finden, dass sie dann verstanden werden wollen, untereinander. Das merkt man auch sofort, indem a) sozusagen Ursache und Wirkung meistens sofort eine Reflektion haben und dadurch entsteht dann die Musik.“

CLH: „Du meinst, es resoniert beim anderen etwas?“

FH: „Ja, auf jeden Fall und es will auch verstanden werden. Ich will verstanden werden, aber nicht um der Behauptung willen, sondern ich mag spielen und ich mag gerne Musik machen, konstruieren, und ich mag dieses Miteinander irrsinnig gerne hören. Also diese Aufregung, was wird entstehen, weil es ist quantisch, es kann alles sein. Und den richtigen Moment vorzubereiten, sich so vorzubereiten, dass man dieses Ding teilen kann, das ist meine Idealversion. Ich glaube immer, dass wir „verstanden“ werden wollen. Für mich ist es dann so, wenn ich das teilen kann, ist mir egal, ob wer zuschaut oder nicht. Es gibt keine Intention nach Außen. Und es ist sogar so – ich habe einige Male in meinem Leben Konzerte gespielt, wo ich gesagt habe, es gibt keine Wand. Ich habe die vierte Wand gekillt und gesagt, es ist kein Konzert, sondern ich wollte euch mal zuschauen lassen, wenn wir privat sind, wie cool wir spielen. Ich habe ein paar Solokonzerte gemacht, da habe ich in einem Turm gewohnt, der war 11qm. Ich habe also diese Konzert gespielt und davon erzählt, und es hat stundenlang gedauert. Ich wollte zeigen, was ich hier mache und das ist für mich in der improvisierten Musik oft so: ihr könnt zuschauen und das finde ich super. Die Einladung zum Publikum, nicht ihr dürft oder könnt, nicht arrogant, sondern gleichsam: Ich finde es super, wenn ihr auch noch zuschaut. Wir sind so. Es ist so eine intime Musik. Ich kenne keine andere  – und ich spiele viele Musiken – die so intim ist, im Unterschied zu 90% der Musiken. Also wir spielen hier und wir müssen das senden, damit ihr was habt. Nein, bei uns ist es so, finde ich, wenn es super ist sind wir sind so gut miteinander, fast schon erleuchtet und andere können teilhaben. Das ist schon so ein Ideal von mir.“

CLH: „Jetzt würde ich gerne noch zwei ganz andere Fragen stellen: Gibt es in Wien eine spezielle Improvisationsmusik und wie würdest du die bezeichnen? Gibt es eine Wiener Schule, einen Wiener Stil?“

FH: „Ich weiß es nicht. Seit 2008 bin ich nicht mehr an der Uni. Ich hatte 22 Jahre Teil an der Ausbildung der jungen Improvisier in Wien. Ich habe aufgehört. Es war super. Es war genug. Seither weiß ich nicht mehr. Früher waren alle berühmten Improvisier und deren Freunde irgendwie in meiner Gegenwart oder ich war bei ihnen. Seither bin ich da nicht mehr. Ich weiß es nicht mehr. Zu dieser Zeit gab es eine Szene. Es gab zwei Szenen innerhalb von 10 Jahren. Es gab auf jeden Fall um 99 herum unsere ganze Reduktionsmusik. Also wir waren bei Anton Weber und er war unser Held. Da war Stangel, Gunther Schneider, die Manon kam später, ich, Dafldecker war aus der Familie, Radu kam von Köln nach Wien und wir waren genau auf dem Punkt und dachten Musik und diese ganzen Sachen. Es war ein heilender Moment.

FH: „Und es gab die elektronische Musik, z.B. Mego, es gab Hunderte und war super gut. Es war völlig klar in ein paar Szenen, das war dann zehn Jahre später nicht mehr so. Und jetzt weiß ich es nicht mehr, ehrlich gesagt. Ich sehe, dass ein Haufen junger Improviser arbeiten in Wien, viele auf verschiedenen Ebenen, sehr gut, gute Hoffnung…“

CLH: „Aber es gibt nicht sowas, wo Du sagen würdest: typisch Wiener Impro-Schule?“

FH: „Das kann ich nicht sagen.“

CLH: „Oder gibt es solche Typen von Improvisieren. Ganz äußerlich oder als Musikertypen. Gibt es so Wiener Musikertypen?“

FH: „In der abstrakten Musik gab es eine Generation, die hat sich verdünnisiert durch Übernahme von verschiedenen Generationen, da war Stangl, Dafldecker, war Michi Moser, dann der Kurzmann Christoph, Klaus Philipp, ich, der Fennes auf jeden Fall, auf verschiedenen Ebenen. Das war eine Generation, verschiedene Arten von Musik, aber es war eine Wiener Geschichte.“

CLH: „Aber die hatten jetzt nicht so einen Kleidungskodex oder so?“

FH: „Eine Zeitlang, gab es das alles in Spuren, aber nein, es war die Musik. Also das, was der Otomo 10 Jahre später als Onkyo- Musik benannt hat, das war bei uns schon lange vorbei.“

CLH: „Was für eine Musik ist das, für Laien gesprochen?“

FH: „Es war eine sehr reduktionistische Musik, die eigentlich aus dem Werk von unseren Helden Anton Weber über John Cage und die ganzen Amerikaner sozusagen gefiltert bei uns ankam und es war diese Musik.“

CLH: „Wie lang ist da her, dass das typisch für Wien war und jetzt ist das ja nicht mehr?“

FH: „Das war um die Jahrtausendwende und dann noch fünf bis sechs Jahre. Ich glaube bis vor zehn Jahren war das so. Jetzt, wenn du mich das fragst und wenn ich so zurück schaue, historisch, waren wir ein Phänomen von etwas, was in Wien immer wieder auftaucht. Es gab schon mal eine Partitur, wo nur Pausezeichen waren. Ich wunder mich immer wie viel aus Wien kommt. Ich kann mich erinnern, wir waren zum Beispiel in Berlin und es gab Diskussion über Gott und die Welt. Über Wien wurde immer geschimpft, ich auch mit, aber schau einmal, ich lebe in diesem… …ich habe meine Identifikation erlebt und ich schau mir das an. Also, wir haben geredet und ich habe gesagt: „du, pass auf, in Wien, da haben wir 100 Komponisten, davon sind 90, die haben mindestens 80 % der Musikgeschichte geschrieben. Jetzt erzähl mir mal einen Berliner Komponisten…“ Ende!“

CLH: „Herr Hautzinger, danke für dieses Gespräch.“

FH: „Wien bleibt Wien. Das muss schon gesagt werden. Die Verbesserungstendenzen finde ich leider nicht zutreffend.“

[Aus Respekt für die befragten Musikerinnen und Musiker fragen Sie bitte, falls Sie diese Interviews zitieren oder weiter verwenden wollen, unbedingt bei den Befragten und dem Autor (C.L. HÜBSCH) um Erlaubnis. Vielen Dank für die Solidarität! Viel Vergnügen beim Lesen dieser gerne bereit gestellten Lektüre.]

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