Foto: Scott Yanow
[Aus Respekt für die befragten Musikerinnen und Musiker fragen Sie bitte, falls Sie diese Interviews zitieren oder weiter verwenden wollen, unbedingt bei den Befragten und dem Autor (C.L. HÜBSCH) um Erlaubnis. Vielen Dank für die Solidarität! Viel Vergnügen beim Lesen dieser gerne bereit gestellten Lektüre.]
CLH: „Ich rede jetzt mit Burkard Stangl aus Wien. Seit wann in Wien?“
BS: „Seit 1978. Ich bin `60 geboren.“
CLH: „Also fast schon Wiener.“
BS: „Schon Wiener. Wo ich herkomme, ist nicht so weit von Wien weg. Eine Art Vorort von Wien. Also, passt schon.
CLH: „Ich frage Dich, was sind Deine Qualitätsmerkmale, wenn Du Dir improvisierte Musik anhörst?“
BS: „Natürlich ist das gar nicht so einfach zu beantworten, weil es zu differenzieren gilt, denke ich, zwischen Ensemble, Großensemble, Kleinensemble, Solospiel. Und die Wirkungsmechanismen und Wirkungsgrade der jeweiligen Konstellationen spielen natürlich eine Rolle, wie ich das beurteile. Also wenn das London Jazz Composers Orchestra spielt oder größere Ensembleformationen, wirkt ein anderer Moment als wenn ich ein Duo John Butcher mit Phil Minton höre oder ein Solo von egal wem. Die Kriterien verschieben sich da. Letztendlich wäre es ganz simpel zu sagen, ja, Hauptsache es ist gut gemacht und es berührt mich, was letztendlich dann auch schlagend wird, aber im Solo oder in kleinen Besetzungen, ist die Handschrift und der Stil der jeweiligen Persönlichkeiten und Personen besser nachvollziehbar als in Großformationen. Was ich gerne mag ist Stil. Sowas wie eine Handschrift von jemand, prinzipiell. Und das ist mir klar, dass es verschwindet in Großformationen bzw. tritt dann nur in diesen obligaten Solo, Solis oder Features von den Leuten hervor. Aber im größeren Improvisationsensembles wirken andere Kräfte.“
CLH: „Ist das eigentlich eine Art von Kommunikation, die improvisierte Musik oder ist die Kommunikationsfähigkeit von einem Improvisierer entscheidend? Wäre das auch so ein Merkmal vielleicht?“
BS: „Ich glaube es ist eine Mischung zwischen der Fähigkeit zu kommunizieren und der absoluten Sturheit, das nicht zu tun. Das ist eine große Kunst diese Balance zu haben. Wobei ich überhaupt in den letzten Jahren Probleme habe mit dem Begriff Improvisation, so wie ich ihn zu verstehen gelernt habe, weil ich denke, dass die Leute, die ich als Improvisatoren schätze, eigentlich ganz genau immer wissen, was sie tun, indem sie sozusagen ein für sich erarbeitetes Repertoire an Möglichkeiten zur Verfügung haben, was sie dann in unterschiedlichen Konstellationen unterschiedlich abrufen. Ich habe das schon vor zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren gesagt und habe das noch nicht einmal genau gewusst, was das genau bedeutet. Also ich habe gemeint, Improvisation ist ihre Vorbereitung. Und es ist ganz simpel. Für mich ist es ein immenser Unterschied im Prinzip, ob ich mit einer E-Gitarre mit Effektgeräten auf die Bühne gehe oder mit einer akustischen Gitarre. Das ist eine große Entscheidung, Ob ich eine Stimmung verwende für eine bestimmte Gitarre oder nicht. Welche Präparationen ich verwende oder nicht. Das heißt ich prädeterminiere relativ viel. Eigentlich vor einem Konzert immer. Und improvisiere im herkömmlichen Sinne gar nicht, sondern rufe nur irgendwelche Möglichkeiten ab, die ich habe bzw. lass mich, wenn es nicht solo ist, von den Konstellationen der Mitmusikerinnen und Mitmusiker beeinflussen, wo ich dann eher irritiert bin, das mich dann wieder zum Improvisieren anregt.“
CLH: „Was bist Du dann?“
BS: „Irritiert. Wo mich der normale Spielfluss irritiert, der eigentlich der Beginn einer Improvisation ist. Also sozusagen ein Fehler meiner Struktur ist oft ganz wichtig, so dass ich mich aus diesem vorgefertigten Gefängnis versuche zu befreien. Was eigentlich das Spannendste für mich ist.“
CLH: „Und findet das statt, um jetzt beim Thema zu bleiben, in einem Austausch mit den anderen?Oder in wie weit ist der Austausch, um für das Wort Kommunikation ein anders Wort zu nehmen, mit den Kollegen dabei wichtig? Und zwar nicht verbal, sondern musikalisch. Ist das überhaupt ein Austausch oder nicht? Oder gibt es ein anderes Wort, was Dir da mehr taugen würde?“
BS: „Vielleicht osmotisch. Oder eine Art von Verschmelzung. Sich in einen Zustand hinein zu bewegen, wo sozusagen der Zustand der Zeit nicht mehr spürbar ist. Oder wo man gar nicht mehr weiß, wer man ist. Und wo man dann im Nachhinein nicht mehr gewusst hatte, ob man das war, wer man sich gedacht hatte, wer man ist. Und diese Art von Verschmelzung ist dann für mich ganz etwas Gelungenes.“
CLH: „Und findet die jetzt nur bei Dir statt oder ist das dann bei den anderen auch so?
BS: „Ich glaube das geht nur so – ich sags militärisch – im Gleichschritt. Also wenn sich die Leute in diesen Zustand hineinschrauben, der sozusagen ein Zeitstillstellungszustand ist, wo sozusagen Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart in eins fallen.“
CLH: „Also das ist dann fast schon meditativ.“
BS: „Kann man durchaus sagen.“
CLH: „Das wäre dann wieder die Kommunion, die ich aus der Kirche her zerren würde.“
BS: „Es ist ja kein Zufall, dass bestimmte Dinge, die Sinn machen, lange überlebt haben. Es gibt aber viele Dinge, die keinen Sinn machen auch überlebt haben.“
CLH: „Spielt dabei auch die Psychologie eine Rolle? Also deine Psychologie, spielt die eine Rolle, wenn Du jetzt spielst?“
BS: „Absolut. Tagesverfassung. Psychologie – so die Lehre der Seele, nehme ich an. Also insofern weiß ich nicht, ob die Lehre eine Rolle spielt oder eher die Psyche. Ich weiß nicht, was Du genau ansprichst.“
CLH: „Ich meine die Befindlichkeit.“
BS: „Der psychische Zustand?“
CLH: „Genau. Also wie gehst Du mit etwas um, was Dir von einem anderen Spieler oder von einem Mitspieler entgegen tönt. Deine Befindlichkeit oder Deine Sensibilität in dem Moment, auch Deine seelische Befindlichkeit, ist die dabei entscheidend oder ist das eher kühl und berechnend wie bei einem Operateur? (Wobei die Frage ist, ob ein Operateur am offenen Herzen das jetzt anders beantworten würde. Vielleicht geht es dem ja auch so.)“
BS: „Wie gesagt, ich habe nicht so ein Problem damit, was andere tun, weil ich tue mein Ding und bin sozusagen sehr stur mit meinen Dingen und höre den anderen zu und hoffe, dass ich die anderen auf meine Seite ziehen kann. Aber es spielt sich auch durchaus in einem fast unhörbaren Bereich ab. Man hört mich oft über lange Zeit nicht und das muss man dann mal aushalten. Und hin und wieder gelingt es auch, dass dann dieses Leise, Feine so ein Anknüpfungspunkt wird nach einiger Zeit, 10 Minuten, 20 Minuten, wo ich mich dann wirklich ganz gut aufgehoben fühle. Das heißt jetzt nicht, dass ich dagegen spiele. Aber es heißt auch nicht, dass ich nicht mit den Leuten spiele. Das heißt auch nicht, dass ich mit mir spiele, sondern ich spiele eigentlich ein Konzept, das ich in gewissen Varianten Situationen anpasse, aber nicht all zu sehr.“
CLH: „Du wartest eigentlich innerhalb Deines Konzeptes bis Du mit den anderen eine Begegnung hast und dann nicht mehr weißt, dass Du Dein Konzept spielst?!“
BS: „So ist es. Und wenn ich sozusagen überhört werde, ist es auch ganz ok. Also das stört mich nicht. Insofern ich bin nicht so ein Apologet, wie soll ich sagen, der Ausdrucksweisen seiner selbst. Überhaupt nicht.“
CLH: „Zumal Du ja darauf hoffst, dass Du dann nicht weißt, wer da gerade spielt.“
BS: „Ich möchte nicht immer wissen, wer ich bin. Ich möchte aber auch die Abgründe ja gar nicht kennenlernen, die mir die anderen aufoktruieren wollen.“
CLH: „In dem Fall könnte man ja noch die Frage nachsetzen: Sollen dann Deine Klänge überhaupt verstanden werden von den Mitmusikern oder was wäre dann ein „Verstehen“ überhaupt?“
BS: „Du sprichst da einen wesentlichen Aspekt an. Ich glaube es ist eher das Klangliche, was mich interessiert und weniger das Virtuose. Eine klangliche Qualität kann mich richtig affizieren. Es affiziert mich auch selbst, wenn ich Klangkonfigurationen zustande bringe, die für mich jetzt anders oder neu sind oder gut gemacht sind. Und Ähnliches passiert dann natürlich, wenn jemand anders einen klanglichen Kosmos mir entgegen schleudert, der mir gut tut, der mich aufregt, der mich zum Beben bringt. Dann wird es extrem spannend für mich. Das Herumgefudel interessiert mich eigentlich überhaupt nicht. Obwohl, wenn ich dann zuhöre, denke ich mir schon, war das Spiel aber toll. Aber das war es dann schon. Ich bewundere schon die Virtuosität, aber sie hat mich noch nie richtig berührt oder in Schwingung versetzt. Der klangliche Moment in der Improvisation ist für mich der Hauptmoment. Ob es jetzt gelingt oder nicht gelingt und wie die Klänge zusammen gehen.“
CLH: „Gibt es eine typische Wiener Improvisationsmusik?“
BS: „Ich glaube, eine Sache war sozusagen diese reduzierte Impro die dann später die Berliner Impro oder in Japan …historisch, glaube ich, hat das in Wien begonnen. 1990, 91 mit Gunter Schneider, Radu Malfatti, ich war dabei, Werner Dafldecker, wir haben uns aber nicht darum gekümmert das zu verkaufen, dieser Wiener Reduktionismus. Das war schon so eine Art Statement damals, Franz Hautzinger, um nichts herum spielen… aber das war deshalb so stark, weil wir es geglaubt haben, das war nichts aufgesetztes, das war das. Wir wollten nichts mehr mit anderen Dingen zu tun haben , nurmehr mit diesen improvisierten Stillen und das war fast erotisch, dass es auch eine Strahlkraft entwickelt hat. Wir konnten damit auch im Radiokulturhaus Konzerte spielen vor 250 Leuten und das hat irgendwie funktioniert, das war völlig bizarr. Das ist das eine, dass es eine Geschichte gibt und wahrscheinlich war es eh parallel aber wir haben nie so richtig eine Theorie oder was daraus gemacht oder ein Statement, was ich auch ein bisschen bedauere. Er wirkt immer noch, diese Art des Zugangs zur improvisierten Musik. Dann gibt es diesen ganz starken Elektronikhype in Wien, der 1995 anfängt mit Fennesz und Kurzmann und Dieter [dieb13] und Mego, der natürlich eine große Strahlkraft gehabt hat und das sich dann irgendwann auch vermischt, auch personell. Das war eine sehr spannende Sache, hat aber nie so eine richtige Ästhetik hervorgebracht würde ich sagen sondern so eher ein ausgefranstes Modell, wie diese zwei Welten zusammenkommen. Aber ich würde nicht sagen, dass es momentan eine spezielle Sprache gibt. Es ist eine grosse Orientierungslosigkeit insgesamt da. Es gibt von der jungen Generation so eine eher kantenlose – aber vielleicht sage ich das so, weil ich ein alter grauer Esel bin – eher kantenlose Art und Weise, mit Dingen umzugehen. Und die können alles. Die können frei improvisieren, stille Musik spielen und spielen aber dann Singer/Songwriter Musik. Und das sind wunderbare und tolle Musiker, aber so richtig eine klare und konsequente Linie oder neue Richtung erkenne ich nicht, aber das ist auch vielleicht meiner Unaufmerksamkeit geschuldet.“
CLH: „Vielleicht sind ja die Zeiten auch vorbei, wo es so eine neue Linie überhaupt gibt. Das ist ja nicht nur in der improvisierten Musik so.“
BS: „Richtig, das is ja auch in der komponierten akademischen oder der Popmusik so.“
CLH: „Am schlimmsten vielleicht, denn da gibt es ja gar nichts mehr neues.“
BS: „Ich glaube es geht dann eher so in die Richtung von neuen Kontexten, diesen Trümmerhaufen und diesen Müll den das 20. und 21. Jahrhundert so aufgehäuft hat, in irgendeiner Form musikalisch zu bearbeiten. Einen Müll und Trümmerhaufen, der in einer riesigen Geschwindigkeit entstanden ist und der vermutlich zu schnell von statten gegangen als als man ihn verarbeiten konnte. Deshalb gibt es die sogennanten Retrobewegungen DIY [Do It Yourself], die Leute bauen ihre Instrumente selber, preparieren, circuit hacking, circuit bending. Dass die Leute sagen, ok, was machen wir mit all diesen Tonbändern, Cassetten. Dass es eine neuer Versuch ist, es überhaupt irgendwie zu fassen, was da eigentlich für Zeug herumkugelt. Und das neu versuchen in diese digitale Welten zu integrieren, einzubauen, zu hinterfragen. Das ist glaube ich eher momentan die Strategie vieler jungen Leute. Gar nicht so sehr darum bemüht zu sein etwas neues zu erfinden, sondern das auszuarbeiten was da eigentlich passiert ist in den letzten fünfzig Jahren.“
CLH: „Noch ein letztes Ding für die Klatschspalte: Gibt es eigentlich Wiener Impromusiker, wo du wenn du siehst auf einem Festival und sagst, ja, Wiener, klar?“
BS: „Wie? Das verstehe ich jetzt nicht.“
CLH: „Als Typen, gibt es Typen wo du sagen würdest “ Das ist typisch für einen Wiener Improvisationsmusiker?“
BS: „Nein absolut nicht. So etwas wie Holländer oder Wuppertal-Style auf keinen Fall. Gibt es nicht.“
CLH: „Burkhard Stangl wir danken Ihnen für dieses Gespräch.“
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