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L’EMIQ (Ensemble de musique improvisée de Québec) est l’orchestre d’improvisateur·ices de la ville de Québec. Fondé en 2017, il est dirigé par Rémy Bélanger de Beauport et regroupe à chaque concert entre 5 et 25 musicien·nes provenant des quatre coins de sa ville, parfois d’un peu plus loin.
Les concerts de l’EMIQ s’élaborent en fonction du lieu d’accueil, suivant les idées transmises par l’espace : autour du public, au milieu du public, sur une scène, sous un chapiteau, dans chaque cachette d’une église, en marche à l’extérieur, etc. L’EMIQ joue parfois des pièces complètement improvisées avec quelques contraintes, ou se laisse guider par ses nombreuses collaborations notamment avec la danse, la poésie et l’art performance.
Au niveau du fonctionnement, une invitation à jouer dans l’EMIQ est envoyée pour chaque concert à une liste d’une centaine de musicien·nes soigneusement élaborée par son directeur; chacun·e indique alors sa présence dans un sondage qui devient la liste officielle des membres de l’orchestre pour un concert donné.
L’EMIQ se caractérise par une intensité de jeu qui réunit autant des musicien·nes professionnel·les de formation que des artistes sonores ou des autodidactes de tous les horizons.
Interviews:
EMIQ (Ensemble de musique improvisée de Québec) (deutsch)
Das EMIQ ist das Orchester der Improvisator·innen der Stadt Québec. Gegründet im Jahr 2017, wird es von Rémy Bélanger de Beauport geleitet und versammelt bei jedem Konzert zwischen 5 und 25 Musiker·innen aus allen Ecken der Stadt – gelegentlich auch von etwas weiter her.
Die Konzerte des EMIQ entwickeln sich jeweils im Dialog mit dem Aufführungsort und folgen den Ideen, die der Raum vorgibt: rund um das Publikum, mitten im Publikum, auf einer Bühne, in einem Zelt, in sämtlichen Nischen einer Kirche, unterwegs im Freien usw. Das EMIQ spielt manchmal vollständig improvisierte Stücke mit bestimmten Vorgaben oder lässt sich von zahlreichen interdisziplinären Kooperationen inspirieren – etwa mit Tanz, Poesie oder Performancekunst.
Die Organisation des Ensembles beruht auf Einladungen, die für jedes Konzert an eine sorgfältig zusammengestellte Liste von etwa hundert Musiker·innen aus Québec verschickt werden. Wer Zeit und Interesse hat, trägt sich in eine Umfrage ein, aus der die endgültige Besetzung für das jeweilige Konzert hervorgeht.
EMIQ zeichnet sich durch eine besondere Spielintensität aus, die sowohl professionell ausgebildete Musiker·innen als auch Klangkünstler·innen und Autodidakt·innen aus verschiedensten Bereichen zusammenführt.
Interviews:
Rémy Bélanger de Beauport
CLH: Welches Klangvorstellung prägt EMIQ?
Rémy: Klangmassen und präzise Unterbrechungen. Verglichen mit GGRIL, Ensemble SuperMusique, BerIO oder ONCEIM, also anderen gr0ßen Gruppen mit denen ich gespielt habe, ist das die Besonderheit von EMIQ: Wir tauchen in eine orchestrale Klangmasse ein, die andere Gruppen eher meiden. Wir sind auch extrem reaktionsschnell, in der Lage, alle gleichzeitig mit einer einzigartigen Präzision einzusetzen.
CLH: Würdest du EMIQ auf einer Aufnahme wiedererkennen?
Rémy: Nicht unbedingt. Und das ist gut so. Wir streben keine feste klangliche Identität an. Wichtig ist, dass es existiert, dass es passiert.
CLH: Ist allein das Dabeisein schon ein künstlerischer Ansatz?
Rémy: Ja, denn vor EMIQ gab es diese Community nicht. Selbst wenn EMIQ schlecht spielen würde, wäre es immer noch ein künstlerischer Akt – die Schaffung einer Community ist Kunst. Natürlich spiegelt sich meine Handschrift wider, wenn ich dirigiere: Massen, Ecken, Stockhausen, Xenakis… Aber wenn andere dirigieren, ist alles anders.
CLH: Ist EMIQ ein Kollektiv?
Rémy: Nein. EMIQ ist mein Orchester. Ich mache alles: Verwaltung, Plakate, Interviews, Dirigieren, umgekippte Biere aufwischen. Es ist ein persönliches Projekt, das eine Gemeinschaft erzeugt. Dagegen ist „Musique pas d’air“, die Organisation hinter der Improvisationsmusikszene in Québec, ein Kollektiv – wir sind sechs Leute. Aber bei EMIQ entscheide ich.
CLH: Gibt es einen typischen Klang von Québec?
Rémy: Kein Klang, eher einen Kontext. Québec ist durch Performancekunst geprägt: absurde Aktionen, Feuer, lärmende Performances. Das beeinflusst natürlich die Improvisationsmusik. Außerdem ist es die einzige Szene, die ich kenne, in der so viele queere Menschen aktiv sind.
CLH: Und die Geografie?
Rémy: Québec ist eine kunstfeindliche Stadt. Die meisten wohnen in Vororten, arbeiten, schauen Fernsehen. Die Innenstadt ist eine Blase. Aber es gibt eine starke Subkultur, die trotzdem existiert.
CLH: Ist EMIQ wichtig für die Stadt?
Rémy: Für das große Québec? Nein. Für unsere Szene: Ja. EMIQ schafft einen Anlass, sich zu sehen, zu sprechen, gemeinsam etwas zu schaffen. In Québec sind die künstlerischen Kreise wie voneinander isoliert: Theater, Zirkus, bildende Kunst – man begegnet sich selten. In den 90ern gab es eine Zeitung, die alles auf einer Seite aufführte. Jetzt ist Facebook an dessen Stelle getreten – inzwischen muss man dafür bezahlen und so wird es obsolet, es bleibt nichts. Musique pas d’air führt einen Kalender für neue Musik in Québec, aber andere Szenen entgehen mir.
CLH: Ist das Publikum anders als anderswo?
Rémy: Nicht wirklich. Das Publikum für Improvisationsmusik ist immer eine Mischung: jung, alt, akademisch, am Rand. Allerdings, in Québec ist es zu weiß. Meine Stadt war in den 90ern sehr weiß, das hat sich kulturell zum Glück stark verändert. Aber die Musik – improvisiert, klassisch, Rock – hat diesen Wandel nicht mitgemacht. Ich habe an der Geschlechterparität im EMIQ gearbeitet, das hat funktioniert. Bei der kulturellen Vielfalt weiß ich, was zu tun wäre – aber ich habe gerade nicht die Energie dazu.
CLH: Was ist der Zusammenhang zwischen Freiheit und Improvisation?
Rémy: Im EMIQ kann jede Person ihren Input einbringen, aber es bleibt kollektiv. Freiheit heißt Verantwortung. Jede_r ist für den Klang des Ganzen mitverantwortlich, das spürt man stark.
CLH: Welchen der Begriffe würdest du streichen: Komposition, Konzept, Improvisation?
Rémy: Komposition.
CLH: Was vereint und was trennt Improvisierende?
Rémy: Was sie vereint: der Wunsch, nicht allein zu sein. Was sie trennt: das Hochstapler-Syndrom: Jede_r zweifelt an der eigenen Berechtigung, da zu sein.
CLH: Dein Lieblingsgeräusch?
Rémy: Die Natriumdampflampe in einem Tiefgaragenparkplatz. Dieses gelbe Summen … ghzhzhzhzhzh.
CLH: Eine besondere Note?
Rémy: Fis. Auf meinem Cello klingt sie lauter als die anderen. Auf der Gitarre sind zwei offene Saiten über einem Powerchord in Fis der ultimative Grunge-Akkord.
CLH: Ein Intervall?
Rémy: Die große Sekunde. Sie erzeuht eine schöne Reibung. Die kleine Sekunde ist zu klischeehaft „Horrorfilm“. Die große bleibt neutral, statisch, schwebend.
Fred Lebrasseur
CLH: Welcher Klang repräsentiert für dich das Klangbild von EMIQ?
Fred: Ich höre einen langen, frequenzreichen Klang, der sich mit kleinen, vielfältigen, dichten Klängen abwechselt.
CLH: Welche künstlerische Herangehensweise prägt für dich das EMIQ?
Fred: EMIQ wurde von Rémy Bélanger de Beauport gegründet, der es seitdem organisch leitet. Seine Offenheit und sein Wunsch, seine Kunst zu teilen – sowohl mit verschiedenen Musiktypen als auch mit verschiedenen Menschen – prägen das Ensemble. Es spielen dort professionelle Musiker_innen aus experimenteller, improvisierter oder aktueller Musik, aber auch Leute aus Klassik, Jazz, Pop, Rock. Ebenso Musiktherapeut_innen, nicht-professionelle Musiker_innen oder sogar Kinder. Das alles basiert auf Improvisation und ist sehr variabel in der Besetzung – mal fünf, mal 35 Personen.
CLH: Ist EMIQ ein Kollektiv?
Fred: Man könnte sagen, ja. Rémy hat fast immer die Zügel in der Hand – einfach, weil es jemand tun muss. Und er macht das so gut, dass wir ihm gerne vertrauen und er es deshalb weiterhin macht.
CLH: Welches Geräusch ist für dich typisch für Québec?
Fred: Für mich ist es der Klang des großen Schornsteins der Fabrik Daishowa Inc. bzw. Papiers White Birch. Er klingt wie ein gigantisches Didgeridoo. Man hört den sehr tiefen Ton kilometerweit, selbst in einem Tonstudio.
CLH: Beeinflussen Geografie und Gesellschaft hier die Musik von EMIQ?
Fred: Schwer zu quantifizieren, aber ich bin sicher: ja. Künstler_innen aller Sparten beeinflussen und inspirieren sich gegenseitig. Also natürlich auch die Architektur. Aber auch das Umfeld, der kalte und sehr helle Winter, die Nähe zum Fluss, die Mischung aus Stadt und großen Parks wie den Plains of Abraham… Und dass Menschen aus ganz unterschiedlichen musikalischen Hintergründen hier zusammenkommen. Es gibt hier viel weniger hierarchische Strukturen als z. B. in Europa.
CLH: Ist die Arbeit von EMIQ wichtig für Québec?
Fred: Ich finde schon. Insgesamt haben sicher 50 Leute bei EMIQ mitgespielt. Allein für uns Spieler_innen ist es wichtig – es bietet einen verspielten Raum zum Austauschen, Experimentieren, sich begegnen. EMIQ öffnet vielen neuen Musiker_innen Türen, gibt ihnen Erfahrung, Sichtbarkeit und Improvisationswerkzeuge. Und es bereichert die künstlerische Landschaft Québecs – menschlich wie klanglich.
CLH: Ist das Publikum hier anders als anderswo?
Fred: Québec hat weniger Einwohner als Montréal – und bestimmt weniger Impro-Veranstaltungen. Aber ich denke, das Publikum ähnelt sich: eine Mischung aus Szene-Insider_innen und neugierigen, offenen Neulingen.
CLH: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Musik von EMIQ und Freiheit?
Fred: Ja. Die Tatsache, dass so viele Menschen aus unterschiedlichen Richtungen gemeinsam etwas erschaffen, bringt viel Freiheit mit sich. Und Rémy, unser „Guide“, bemüht sich, die Freiheit jedes Einzelnen zu respektieren. Ich persönlich fühle mich hier sehr frei.
CLH: Wenn du einen der Begriffe streichen müsstest – Komposition, Improvisation oder Konzept – welcher wäre es?
Fred: Wahrscheinlich „Komposition“. Auch wenn ich finde, dass Improvisation eigentlich spontane Komposition ist. Aber bei uns geht es mehr um Improvisation und Konzepte.
CLH: Was verbindet und was trennt Improvisierende?
Fred: Die Freiheit, die EMIQ bietet, der Wunsch, spontan zu gestalten, bringt uns zusammen – egal aus welcher Richtung wir kommen. Bei EMIQ kann man kommen oder nicht. Was uns trennt, sind manchmal einfach Terminkalender oder die Lust. Ich spüre bei uns keine großen Trennungen. Bei anderen Ensembles können ästhetische Vorstellungen oder Impro-Stile spalten: manche spielen nur mit Jazz-Profis, andere nur mit Noise-Leuten usw.
CLH: Dein Lieblingsklang?
Fred: Wenn das Radio nicht ganz auf einen Sender kommt, sondern zwei gleichzeitig empfängt. Dabei entsteht manchmal wundervolle Musik.
CLH: Eine besondere Note für dich?
Fred: Die „Brown Note“.
CLH: Ein besonderes Intervall?
Fred: Der Abstand zwischen zwei Arten von Stille – Radiostille und Totenstille.
LUX
CLH: Was ist für dich die klangliche Identität des EMIQ?
Lux: Für mich – ich habe keine große musikalische Ausbildung – geht es um Freiheit, Zuhören und Respekt für die in den Raum gesetzten Klänge. Es gibt etwas sehr Spielerisches, Unkompliziertes. Es ist nicht snobistisch, also sehr offen. Man kann Teil der Musik sein, auch wenn man kein_e große_r Musiker_in ist – solange man zuhört, respektiert, und nicht um jeden Preis glänzen wills. Rémy spricht oft von Vibe – und genau das ist es: Respekt, Freude, Zuhören.
CLH: Ist das ein Kollektiv? Eine Gemeinschaft?
Lux: Es ist ein Ensemble, aber auch irgendwie all das. Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen kommen zusammen – aus Liebe zur improvisierten Musik. Für die meisten ist es keine Karriere, sondern eine Leidenschaft. Improvisation ist in Québec noch jung. Die Entscheidungsprozesse sind sehr organisch, es gibt keine strenge Hierarchie.
CLH: Und die Organisation dahinter?
Lux: Es gibt die Organisation Musique Pas d’Air – ein Wortspiel, natürlich – die Künstler_innen rund um EMIQ vereint. Das Ganze ist ein bisschen underground. Rémy macht viel, aber jede_r bringt sich ein. Ich bin erst seit Kurzem Teil von Musique Pas d’Air, aber ich spiele schon seit zwei, drei Jahren mit dem EMIQ.
CLH: Hat Québec für dich einen bestimmten Klang?
Lux: Ja, es ist wie ein urbanes Gedicht. Maschinengeräusche, klirrende Scheiben, ständige Baustellen. Da ist eine Atmosphäre von Bewegung, von beständigem Auf- und Abbau.
CLH: Und die Geografie der Stadt? Der Fluss, die Form?
Lux: Ja, Québec ist wie eine Blase. Nicht ganz geschlossen, aber umhüllt. Das beeinflusst die Energie. Es ist ein Ort des Durchgangs – Musiker_innen halten hier an auf dem Weg zwischen Montréal und Toronto oder wenn sie aus Europa zurückkommen. Musique Pas d’Air bietet manchmal sogar Unterkunft an – sehr punkig, selbstorganisiert, herzlich.
CLH: Ist die Arbeit des EMIQ wichtig für Québec?
Lux: Ich glaube nicht, dass die Stadt das wirklich wahrnimmt. Es ist noch marginal. Aber für die Beteiligten ist es essenziell. Und es beginnt, sich langsam einzuschreiben. Québec ist kulturell eher konservativ, aber das verändert sich. Wenn wir Genres vermischen, Poesie oder Tanz einbeziehen, erreichen wir mehr Menschen. Es wird zur Brücke.
CLH: Und das Publikum?
Lux: Sehr klein, oft ein Kreis von Eingeweihten. Aber es gibt ein wachsendes Interesse. Man muss die Leute mit dem abholen, was sie kennen – und dann zur Improvisation führen.
CLH: Welcher Zusammenhang besteht für dich zwischen improvisierter Musik und Freiheit?
Lux: Das EMIQ wird sehr frei geführt. Gestern war es zum ersten Mal für mich so, dass es eine Art Dirigat gab. Normalerweise ist es Chaos, Spiel. Und in diesem Chaos liegt eine Freiheit. Ein Ziel, das erreicht wird, ohne dass man es merkt. Kindlich – aber nicht kindisch. Einfach frei.
CLH: Wenn du einen der Begriffe streichen müsstest – Komposition, Konzept oder Improvisation?
Lux: Komposition.
CLH: Was verbindet Improvisierende?
Lux: Der Wunsch, Isolation zu durchbrechen. Zusammen zu spielen heißt, aus seiner Blase zu treten, gemeinsam eine Energie zu schaffen – ohne zu werten. Man nimmt einander so, wie man ist, auf Augenhöhe.
CLH: Und was trennt?
Lux: Vielleicht das Denken. Wenn man zu viel denkt, sich vergleicht – dann verliert man die Verbindung. Aber wenn es funktioniert, ist man ganz im Gefühl, im Resonanzraum. Dann gibt es keine Trennung mehr.
CLH: Dein Lieblingsklang?
Lux: Der Moment zwischen heftigem Lärm und Stille. Dieser Übergang, wenn alles stoppt, aber noch nachklingt. Da schwebe ich.
CLH: Eine besondere Note?
Lux: E.
CLH: Ein bevorzugtes Intervall?
Lux: C–E–G. Der einfache Dur-Dreiklang. Auf dem Klavier – schlicht, aber stark.
Raphaël Guay
CLH: Hat das EMIQ für dich ein besonderes Klangbild?
Raphaël: Gute Frage. Ich würde sagen, es geht um klangliche Dichte. Es ist eine kompakte Textur, eine Verdichtung ganz unterschiedlicher Ideen. Das ergibt etwas ziemlich Eigenes.
CLH: Ist es eine Kommune, ein Kollektiv?
Raphaël: Für mich ist es etwas Offenes. Von Anfang an war das so: keine verschlossenen Türen. Ein geteiltes Projekt, das einladend ist.
CLH: Und Rémy – hat er das gegründet?
Raphaël: Ich denke, ja. Am Anfang waren es Gemeinschaftsaktivitäten, offen für alle. Nach und nach wurde daraus ein richtiges Ensemble. Es begann mit Workshops, dann entstanden daraus eigenständige Projekte.
CLH: Siehst du darin eine künstlerische Herangehensweise?
Raphaël: Ja, absolut. Die Identität liegt genau in dieser Mischung – wie erfahrene Musiker_innen auf unerwartete Klänge reagieren. Das ist kreativ und lebendig.
CLH: Und ist das für erfahrene Musiker_innen nicht auch anstrengend?
Raphaël: Nein. Es spielt keine Rolle, von wem ein Klang kommt – jeder Klang ist eine Herausforderung. Meine Aufgabe ist es, ihn zu veredeln, ihm Bedeutung zu geben. Für mich ist das kein Problem. Das Ergebnis verändert sich, aber der Prozess bleibt derselbe.
CLH: Gibt es für dich einen typischen Klang oder eine typische Atmosphäre von Québec?
Raphaël: Ich habe nicht wirklich darüber nachgedacht… aber was mich immer fasziniert hat, ist die Kanone der Zitadelle oben in der Stadt. Wenn sie feuert, fliegen die Vögel auf, und die Kirchenglocken antworten. Das ist wie eine besondere Klangsequenz von Québec.
CLH: Beeinflusst die Geografie die Musik hier?
Raphaël: Vielleicht. Es gibt historisch die Oberstadt – das Bürgertum – und die Unterstadt – das Volk. Und die improvisierte Musik passiert in der Unterstadt. Oben ist es eher klassisch. Das hat sicher Einfluss auf die Orte und wer mitmacht. Diese Trennung ist hier sehr präsent.
CLH: Ist das EMIQ wichtig für die Stadt?
Raphaël: Ja, ich denke schon. Als ich angefangen habe, gab es kein Ensemble dieser Art. Es bringt neue Impulse, vereint Menschen. Früher bestand die Improszene in Québec aus kleinen, isolierten Initiativen.
CLH: Und das Publikum hier – ist es anders als in Montréal oder Rimouski?
Raphaël: Schwer zu sagen. Es sind oft dieselben Leute, die wiederkommen. Es gibt etwas Überschneidung mit anderen Szenen, aber nicht vollständig. Vielleicht überschneiden sich 30 bis 50 %. Die Menschen, die kommen, sind neugierig, offen. Es ist nicht das typische Publikum für zeitgenössische Musik.
CLH: Gibt es für dich eine Verbindung zwischen improvisierter Musik und Freiheit?
Raphaël: Ja. Ich glaube, improvisierte Musik zeigt, dass Freiheit nichts Gefährliches ist. Das ist eine starke Aussage. Manche Menschen können damit nicht umgehen – ich habe Leute gesehen, die gegangen sind, weil sie zu aufgewühlt oder überfordert waren. Aber für jene, die bleiben, bricht es Grenzen auf. Und es zeigt, dass Freiheit eine Gemeinschaft entstehen lassen kann.
CLH: Wenn du einen der Begriffe streichen müsstest – Komposition, Improvisation oder Konzept?
Raphaël: Komposition, denke ich. So wie ich den Begriff verstehe, würde ich den weglassen.
CLH: Was verbindet oder trennt Musiker_innen im EMIQ?
Raphaël: Das Gemeinschaftsgefühl verbindet. Der Wille, etwas gemeinsam zu erschaffen. Was trennt, ist, dass wir alle unterschiedliche Ideen davon haben, was Musik sein soll. Aber genau das macht auch die Vielfalt aus.
CLH: Gibt es manchmal Spannungen?
Raphaël: Ich habe keine wahrgenommen. Vielleicht bin ich naiv, aber ich habe keine Lagerbildung gesehen. Die Menschen hier sind sehr tolerant, finde ich.
CLH: Dein Lieblingsklang?
Raphaël: Ich mag klingende Metalle. Momentan ist das mein Ding. Aber ich habe keinen festen Lieblingsklang.
CLH: Eine besondere Note?
Raphaël: Nein, ich glaube nicht. Ich arbeite eher relativ – ich hänge mich nicht an eine Note.
CLH: Dein bevorzugtes Intervall?
Raphaël: Die kleine Terz. Ich finde, sie wird zu oft übersehen. Mit Glocken ist sie ein instabiles Intervall – mal groß, mal klein. Das erzeugt wunderschöne Farben.
François Paquet
CLH: Hat das EMIQ eine eigene Klangfarbe oder ein bestimmtes Klangbild? Könnte man es auf einer Aufnahme erkennen?
François: Ich denke schon, und das liegt vor allem an der Vielfalt der Musiker_innen. Wir haben Leute mit ganz unterschiedlichen Hintergründen: Free Jazz, Klassik, Rock, Performance, Autodidakt_innen oder hoch ausgebildete Profis. Diese Mischung prägt den Klang wirklich stark. Er verändert sich bei jedem Konzert, weil die Besetzung immer wieder anders ist. Es ist nie dieselbe Gruppe von Menschen, also ist auch die Musik jedes Mal neu und unvorhersehbar.
CLH: Und trotz dieser Vielfalt – ergibt sich daraus eine Identität?
François: Genau das ist die Identität: dass es keine feste Formel gibt. Das macht das Ganze einzigartig.
CLH: Was macht für dich einen guten oder schlechten Abend aus?
François: Ein guter Abend ist einer, an dem man merkt, dass die Musiker_innen wirklich im Dialog sind. Aber selbst ein schwieriger Abend kann wichtig sein – er bringt Fragen und Reflexionen mit sich. Auch das Publikum spielt eine Rolle in dieser Interaktion.
CLH: Was ist für dich die künstlerische Identität von EMIQ?
François: Für mich ist es ein Werkzeug der Öffnung. Es ist inklusiv, es macht improvisierte Musik zugänglich – für Musiker_innen ebenso wie fürs Publikum. Ich sehe es als pädagogisch, im Sinne von „etwas entdecken lassen“, nicht im Sinne eines festgelegten Wissens. Selbst erfahrene Musiker_innen lernen hier etwas.
CLH: Und der kollektive Aspekt?
François: Klar, Rémy ist der Motor des Ganzen, aber es ist offen. Wenn ich ein Projekt unter dem Namen EMIQ organisieren wollte, könnte ich das tun. Und mit Musique pas d’air ist es völlig kollektiv und horizontal organisiert.
CLH: Gibt es für dich einen Klang oder eine Stimmung, die Québec repräsentiert?
François: Kein bestimmter Klang, eher eine Atmosphäre: eine brodelnde Ruhe. Es ist eine kleine Stadt, aber mit viel Kreativität. Es ist nie bedrückend, sondern auf menschlicher Ebene. Und auch geografisch hat die Unterscheidung zwischen Ober- und Unterstadt Einfluss auf die kulturelle Organisation – auch wenn sie langsam verschwindet.
CLH: Ist die Arbeit von EMIQ wichtig für die Stadt?
François: Für die „große Stadt“ ist es eher marginal. Aber für die Community ist es zentral. Es schafft einen Ort der Begegnung, es nährt das soziale wie das musikalische Gefüge.
CLH: Und das Publikum in Québec – ist es anders?
François: Es ist eine kleine, sehr treue Szene. In Québec kennt man sich untereinander. Es gibt eine große Nähe, einen einfachen Kontakt mit dem Publikum, der sehr stark ist. Vielleicht ist es weniger anonym als anderswo.
CLH: Welche Rolle spielt Freiheit in dieser Musik?
François: Sie ist grundlegend. Die Freiheit zu spielen, nicht zu spielen, eigene Regeln vorzuschlagen. Selbst wenn man sich Einschränkungen auferlegt, bleibt das ein Akt der Freiheit. Und das macht diese Musik relevant.
CLH: Wenn du einen der Begriffe streichen müsstest – Komposition, Konzept oder Improvisation?
François: Komposition. Das ist der Begriff, der am wenigsten auf EMIQ zutrifft.
CLH: Was verbindet oder trennt Improvisierende?
François: Zuhören – das verbindet. Und was trennt, ist, wenn zwei musikalische Ideen sich nicht begegnen wollen. Aber auch das kann spannend sein. Trennung ist nicht immer etwas Negatives.
CLH: Dein Lieblingsklang?
François: Ein langer, tiefer, körperreicher Ton… ein Klang mit Substanz.
CLH: Eine besondere Note?
François: D. Das ist die einzige, die ich ohne Bezugston erkennen konnte. Vielleicht wegen Bachs Kunst der Fuge.
CLH: Ein Lieblingsintervall?
François: Die reine Quinte. Ich mag ihre Offenheit, ihre Leere. Und als Gitarrist ist sie ein vertrautes, zentrales Intervall.
MMV2005 (MATHIEU 1, MATHIEU 2, VINCENT)
CLH: Gibt es eine Klangvorstellung von EMIQ, eine Art erkennbare Signatur?
Mathieu 1: Es sind oft viele Leute da, jede_r mit seinem_ihrer Instrument, ohne dass jemand bestimmt, wer was tut. Das ergibt eine besondere Klangfarbe, etwas Unbestimmtes, das davon abhängt, wer an dem Tag dabei ist. Die wechselnden Besetzungen sind Teil dieser klanglichen Identität.
Mathieu 2: Selbst wenn nicht immer dieselben Leute spielen, klingt es trotzdem wie dieselbe Gruppe. Es gibt eine gemeinsame Art zu spielen, ein geteiltes Zuhören. Die Leute wissen, wie sie sich einfügen können.
Mathieu 1: Und es gibt eine große Vielfalt an Teilnehmenden – manche kommen aus der klassischen Musik, andere aus der Popmusik, wieder andere sind Improvisator_innen oder Amateure. Das ergibt ganz verschiedene Texturen – manchmal sehr kontrolliert, manchmal roher oder lo-fi. Ich persönlich nehme gern eine zurückhaltende Rolle ein und lasse mich von dem, was um mich herum passiert, mittragen.
CLH: Erlaubt die Praxis des EMIQ, dass jede_r das einbringt, was sie_er hat?
Mathieu 2: Ja, es sind die Menschen, die EMIQ ausmachen. Wenn ich daran denke, denke ich zuerst an Personen, an Gesichter. Wir spielen nur in diesem Kontext miteinander. Und wenn neue Leute dazukommen, integrieren sie sich ebenfalls schnell – selbst wenn die Wechsel langsam stattfinden. Québec ist ein großes kleines Dorf.
CLH: Ist das Bedürfnis zu experimentieren ein treibendes Motiv?
Mathieu 1: Immer. Auch wenn es nicht ausdrücklich gesagt wird – wir kommen hierher, um Dinge auszuprobieren. Zum Beispiel als wir mit einer projizierten grafischen Partitur gespielt haben, die wir vorher nie gesehen hatten. Man musste sie lesen, improvisieren und Rémy folgen. Sehr experimentell und lehrreich.
Mathieu 2: Wir drei kommen aus den visuellen Künsten. Wir lieben es, uns selbst Regeln zu geben, um die Improvisation anzuregen. Und wir machen das auch weiter mit dem EMIQ. Ich spiele fast nie zweimal dasselbe Instrument. Ich berühre gern alles – so experimentiere ich.
CLH: Ist EMIQ ein Kollektiv mit einer Leitung?
Vincent: In einer großen Gruppe ist es schwer, ohne jemanden, der eine Richtung vorgibt. Jemand wie Rémy hilft mit seinen Interventionen sehr. Er hat das Projekt initiiert, aber die Ausrichtung bleibt offen und frei.
Mathieu 2: Wenn er dirigiert, spürt man, dass er etwas Bestimmtes sucht. Und es ist schön, Teil dieser Suche zu sein.
Mathieu 1: Er kennt die verschiedenen Spielweisen der Leute sehr gut. Selbst wenn jemand anderes die Leitung übernimmt – wie du neulich – ist das spannend. Vorgaben können von überall kommen.
CLH: Gibt es einen typischen Klang von Québec? Eine bestimmte Atmosphäre?
Mathieu 2: Nicht wirklich. Es ist nicht wie in einer großen Stadt mit ständigem Geräuschpegel. Es hängt vom jeweiligen Viertel ab.
Mathieu 1: Vor ein paar Jahren hieß es, Québec sei die Stadt des Metal. Es gab viele Konzerte in kleinen Bars. Das ging eine Zeit lang zurück, aber Leute wie Rémy und andere Kollektive bringen es zurück.
CLH: Ist es wichtig, dass es EMIQ in Québec gibt?
Mathieu 2: Ja. Es schafft Brücken zwischen verschiedenen künstlerischen Szenen. Ohne das bliebe jede_r in seiner_ihrer Blase – Musik, Poesie, bildende Kunst begegnen sich sonst kaum.
Mathieu 1: Es zieht auch Leute mit alternativen Lebensstilen an – vielleicht weniger jene, die im klassischen 9-to-5-Rhythmus leben. Und es erlaubt auch Menschen, die sich nicht trauen, vor großem Publikum zu spielen, mitzumachen.
CLH: Und das Publikum?
Mathieu 2: Meistens sind wir selbst das Publikum! Und unsere Freund_innen. Aber bei größeren Events kommen mehr Leute. Menschen jeden Alters, Neugierige, Stammgäste und Leute aus der Szene.
CLH: Was bedeutet Freiheit in dieser Praxis?
Mathieu 1: Freiheit ist, kommen zu dürfen oder auch nicht. Es gibt keinen Zwang, keinen Ausschluss. Das ist kostbar.
Vincent: Und wenn man kommt, kann man auch einfach zuhören, ein Objekt manipulieren, ein Gedicht vorlesen. Man muss seine Freiheit nicht beweisen. Es ist eine geteilte, nicht demonstrative Freiheit.
CLH: Wenn man einen Begriff streichen müsste – Komposition, Improvisation, Konzept?
Mathieu 1: Komposition!
CLH: Was verbindet Improvisierende?
Mathieu 2: Die Freude am gemeinsamen Moment. Selbst wenn man vorher oder nachher kaum spricht – man teilt etwas. Wie ein Ritual.
Vincent: Es ist wie in die Kirche gehen. Man kommt, spielt, redet ein bisschen, und geht wieder. Das ist die Verbindung.
CLH: Was bringt euch „aus dem Spiel“?
Mathieu 1: Manchmal, wenn jemand zu viel Raum einnimmt. Aber das ist nicht unbedingt negativ. Man muss den Raum leben lassen. Akzeptieren, dass man nicht immer im Zentrum steht.
Vincent: Zu viel Wille oder Kontrolle kann das Zuhören zerstören. Ich mag, wenn zerbrechliche Dinge auftauchen. Klänge, die gerade erst entstehen oder kurz vorm Verschwinden sind.
CLH: Was ist dein Lieblingsklang, aktuell?
Mathieu 1: Im Moment: eine Saite ganz leise anreißen, die Bewegung wiederholen. Wie eine Meditation.
Vincent: Zerbrechliche, prekäre Klänge. Die, die kaum existieren. Mein kleines Nirvana.
Mathieu 2: Die Stille hinter meinem Haus seit meinem Umzug. Eine echte Stille.
CLH: Lieblingsnote oder -klang?
Mathieu 2: E. Einfach, poppig, zugänglich.
Vincent: Eine unbestimmte Note irgendwo auf dem Gitarrenhals. Ein Spielort, mehr als ein Name.
Mathieu 1: Ich liebe die Note, die eine Auflösung andeutet, aber sie nicht bringt. Die, die überrascht.