CHRISTIAN REINER

[Aus Respekt für die befragten Musikerinnen und Musiker fragen Sie bitte, falls Sie diese Interviews zitieren oder weiter verwenden wollen, unbedingt bei den Befragten und dem Autor (C.L. HÜBSCH) um Erlaubnis. Vielen Dank für die Solidarität! Viel Vergnügen beim Lesen dieser gerne bereit gestellten Lektüre.]

CLH: „Christian Reiner, seit wann wohnst du in Wien?“

CR: „Seit ungefähr vierzehn Jahren.“

CLH: „Seit vierzehn Jahren. Bist du schon Wiener?“

CR: „Wahlwiener sagt man glaube ich. Mein Wohnort ist Wien. Wiener, weiß ich nicht. Geboren bin ich nicht hier.“

CLH: „Dann hätte ich die Frage: Was sind deine Qualitätsmerkmale für improvisierte Musik, wenn du die anhörst, oder für Improvisation?“

CR: „Pffh, das ist sicherlich sehr subjektiv. Gut muss es sein! Und es interessiert mich, je mehr die einzelnen Improvisateure ihre eigene Welt haben und dennoch diese in den Kontext der anderen Welten stellen können. Das ist ein Qualitätsmerkmal für mich, von Improvisation.“

CLH: „Ist das jetzt mehr von innen gesprochen oder von außen, also wenn du dir etwas anhörst?“

CR: „Das meinte ich in erster Linie. Wenn ich ein Konzert höre oder wenn ich ein Musikstück höre auf CD und wenn ich dann schaue, was mir daran gefällt, dann ist das tatsächlich oft so, wenn das eigene Welten sind die so ganz…, ich kann das nicht genau beschreiben, es ist ja auch nicht nur Musik sondern auch bei Tanz ist es dasselbe, …wenn das so eigene Welten sind, die zusammen etwas ergeben, eine Poesie, oder eine Schwingung ergeben, die mich dann wieder anspricht, das ist eigentlich immer erstmal das Wichtigste. Was mir nicht so gut gefällt ist wenn das alles immer so unisono ist, wenn alle erst leise, dann laut, dann na na, und irgendwie ist das alles so halb improvisiert dann, für mich.“

CLH: „Also das ist quasi eine Orchestrierung der Persönlichkeiten?“

CR: „Klingt gut.“

CLH: „Und spielt bei dem, was die dann zusammen tun, Kommunikation eine Rolle?“

CR: „Ja, eine riesige Rolle. Gerade das eben, finde ich, ist ein großes Merkmal: Bei sich zu bleiben und doch mit dem anderen etwas zu machen. Das ist glaube ich immer so, wenn zwei oder mehrere etwas machen. Wenn man nicht ganz bei sich bleibt, dann ist man ja nicht sich selbst. Also schon, man ist ja immer sich selbst, aber dann hat man nicht diese Qualitäten, weil man immer darauf schaut. Ich glaube dieser scheinbare Widerspruch von bei sich bleiben und in Kontakt mit anderen zu treten, da geht es dann los, dass es hoch wird in der Improvisation.“

CLH: „Muss ein Improvisationsmusiker kommunikationsfähig sein, oder gibt es auch welche die so etwas gar nicht machen?“

CR: „Das weiß ich nicht. Es gibt sicherlich welche die das gar nicht machen. Nur wenn ich dann irgendwelche Gitarristen sehe, die auf die Bühne gehen und ihren Kasten aufmachen und es einfach so laut machen, dass man nichts anderes mehr hört… ja die bleiben schon bei sich, aber da ist es dann auch wurscht ob nebendran Krieg ist oder ein Saxophon solo spielt, weil die hören das einfach nicht. Also die machen dann so zu und machen ihren eigenen Weg. Das finde ich dann meistens nicht mehr so interessant. Weil da ist die Kommunikation dann einfach nicht mehr da und damit meine ich jetzt aber nicht: [singt eine kleine zweistimmige Ping-Pong-Improvisation], also ich meine nicht ein Frage und Antwort Spiel oder so etwas, sondern einfach nur: ein (ja, klingt auch abgedroschen) gutes Konzert oder eine gute Performance ist am Schluss auch wie ein gutes Gespräch. Also der eine trägt etwas dazu bei, dann sagt der andere was: „jaja da fällt mir ein, wenn Du schon beim Boxen bist wollt ich noch sagen…“ also so. Und dann kommt da eben manchmal ein Schmarren raus und manchmal eben improvisierte gute Musik oder Performance. Und ich finde, ein Qualitätsmerkmal ist sicherlich auch dieses Loslassen. Denn es gibt nichts Schlimmeres als halbe Improvisation, oder so Improvisation mit doch ein bisschen Plan. Weil dann ist der ganze Zauber einfach weg. Also das gibt es ja oft, dass die Leute sich ausmachen „und wenn ich dann huh! sage, dann machen wir runter und langsam, fade out“ oder irgendwelche anderen Dinge. Das finde ich… (bei beidem, also beim einen, wenn ich etwas höre und wenn ich es selber mache auch) ….eher störend, das nimmt den Zauber weg. Denn es ist Improvisation, darum geht es ja, dass man das Unerwartete erwartet.“

CLH: „Wenn du dann jetzt so einen Klang schickst willst du dann eigentlich dass er von den anderen verstanden wird?“

CR: „Ja, aber nicht auf eine bestimmte Art, also weder semantisch noch sonst was. Besonders wenn ich Worte spreche zum Beispiel: da gibt es Musiker die ich hoch schätze, aber die auf den Text überhaupt nicht hören. Da gibt es einen namhaften Pianisten, der hört zum Beispiel überhaupt nicht auf die Texte, sondern der hört auf diese Rhythmen. Mit dem spiel ich ganz viel zusammen und der ist nicht taub, der ist nicht doof, der könnte das, das ist alles überhaupt kein Problem, da kommt auf jeden Fall etwas an. Aber eben nicht das, was vielleicht jemand glauben möchte. Das ist ja oft bei der Improvisation so mit der Textverständlichkeit, das es das ja meist gar nicht ist, sondern da sind ja noch so viele andere Dinge dabei, Rhythmus, Melodie und so weiter. Auch das nicht ganz verstehen ist ja etwas womit man spielen kann oder nicht.“
CLH: „Es ist ja auch die Frage eigentlich was Kommunikation bedeutet. Das ist mir doch jetzt öfters über den Weg gelaufen. Das es auch erstmal als Wort so verstanden wird, dass wenn einer A sagt, der andere B sagen muss oder der andere muss auch A sagen, dass es auf so einer Art Ping-Pong beruht. Und das ist ja eigentlich nicht das Wesen von einer Kommunikation. In dem Sinne wie du das Wort Kommunikation gebrauchst ist es nicht das, sondern etwas anderes.“
CR: „Ja, Hauptsache es kommt an und der andere verändert wieder durch seinen Beitrag das ganze Geschehen. Aber es kann auch eine wunderbare Kommunikation sein, wenn zwei Leute am Meer sitzen und die ganze Zeit aufs Meer schauen; erst mal könnte es sein, sie sagen nix – das kann auch eine Kommunikation sein. Aber es kann auch sein, der eine quatscht die ganze Zeit und erzählt, und der andere sagt kein einziges Wort, und die hatten einen super Abend, die haben sich super unterhalten.“
CLH: „Der, der nichts gesagt hat, hat offensichtlich auch gesprochen.“
CR: „Ja! Sein Beitrag war Nichts-Sagen. Das ist ja oft das, was leider manche Improvisationsmusiker überhaupt nicht machen, aber man kann auch mal eine Pause machen. Gerade wenn man dann in Vierer Ensembles oder so etwas ist. Im Duo, finde ich, da kann man auch mal mit Leuten spielen die keine Pause machen, das geht. Aber dann, schon wenn es ein Trio ist, dann ist es auch oft wichtig einfach mal eine Pause zu machen und mal zuzuhören. Die Sprache erfordert das ein bisschen, oder hat das in ihrem Rhythmus. Natürlich kann ich jetzt, das mache ich ja auch manchmal, pausenlos drauf los reden, trotzdem habe ich Pausen, in dem ich irgendwas hinsetze, ein Bild, und bleib dann mal so. Manche Musiker sehen halt da keine Pause drin, da geht es die ganze Zeit los. Und die sind halt so wie der Typ der am Meer sitzt und der andere sagt halt mal nichts. Ich finde zum Beispiel, wenn jetzt ein Trio auftritt und die machen ein Stück und der Gitarrist von dem Trio oder von mir aus auch der Schlagzeuger, macht nichts, dann war es trotzdem noch ein Trio. Dann haben die sich nicht plötzlich entschieden ein Duo zu spielen, sondern es war ein Trio, denn er war auf der Bühne und hatte die Möglichkeit jederzeit ein Solo hinzulegen, aber hat es nicht gemacht. Das ist eine Entscheidung und deswegen hat er das Stück mit komponiert.“

CLH: „Woran merkst du eigentlich als Sänger bzw oder Stimm/Sprechkünstler während einer Improvisation, ob sie gut ist und woran merkst du das?“

CR: „Also ich weiß, ob es sich gut anfühlt, es zu machen. Ich weiß nicht automatisch, ob das dann, was da aufgenommen ist… was ja auch etwas ganz anderes ist als das Stück, das da in dem Raum war, das ist ja nur ein kleiner Teil wenn man dann etwas aufnimmt und wenn ich mir das dann wieder anhöre… Aber beim… Wie war die Frage nochmal genau? Ich weiß die Antwort ein bisschen besser als die Frage, deswegen: darf ich sie nochmal hören?“

CLH: „Woran weißt du beim Spielen ob eine Improvisation gut ist?“

CR: „Das weiß ich nicht. Es kommt manchmal vor, dass es schon so ist. Ich glaube wenn ich das Gefühl habe, dass ich richtig loslasse,… also das passiert einfach. Das merkt jeder Musiker oder jeder Tänzer, wenn man so surft, vielleicht zu zweit oder zu dritt und es läuft einfach und man weiß manchmal selber nicht genau was man da tut, aber doch ganz genau. Dann glaube ich, dass es gut ist und dann ist es meistens auch gut.

Aber es gibt viele Bereiche dazwischen, sag ich mal, wo ich glaube, dass es super war und dann höre ich es mir an: „oh, gar nicht so gut“. Oder andersherum, wenn ich denke, dass es nicht so wichtig war und dann hört man sich es an: „hey, das war gut!“. Daher: ich kann es nicht immer sagen. Und: Ich finde es auch gut, dass man die Hörkontrolle beim Improvisieren nicht immer so stark einschaltet, weil sonst beschäftigt man sich ja immer mit dem was war, auch wenn es nur eine Millisekunde ist. Und ich finde nirgendwo ist es so wichtig, jetzt etwas zu machen, wie in der Improvisation.“

CLH: „Also wenn du sagst du lässt die Hörkontrolle weg…“

CR: „Das ist das angestrebte Ziel, aber das ist immer so eine Annäherung. Das kann man ja eh nie. Es ist zum Beispiel unmöglich, dass man einfach mal beobachtet wie man atmet. Das geht nicht. Du hast keine Chance, weil du sofort anders arbeitest, mit deinem Atem. Du machst sofort das was du am liebsten haben würdest. Du atmest tief, wenn du davon Ahnung hast wie das geht, dann machst du das. So ist es mit der Hörkontrolle eben auch. Es hat manchmal gar nicht so viel Sinn. Es ist gut, aber ich versuche sie wegzulassen, aber du kannst sie nicht weglassen.“

CLH: „Kann man dieses Erlebnis nur spüren, wenn es stattfindet, oder sieht man dann auch hinterher eher an der Musik, ahja, da haben alle gut miteinander kommuniziert?“

CR: „Also wenn, dann passiert es auf jeden Fall während der Musik, also nicht in der Betrachtung später oder sonst was, sondern jetzt, im Moment. Deswegen sage ich ja auch: das ist ein so großer Unterschied. Wenn man heute Aufnahmen von improvisierter Musik hört, da kann manchmal auch der große Bringer dabei sein, aber es ist einfach nochmal etwas anderes. Es ist in einem anderen Raum, es ist nicht das was es jetzt wirklich ist, es ist wie ein Foto. Aber man war trotzdem nicht im Urlaub in Teneriffa, man sieht nur das Foto. Und das kann gut aussehen, aber man ist nicht im Urlaub dort. Und so ist das mit Improvisation glaube ich. Sowohl als Hörer als auch als Macher. Wenn es gut läuft, also wir reden hier immer über die guten Seiten von Improvisation, es gibt auch furchtbare Improvisationen. Aber wenn es gut läuft, dann kann es eben das, auch für den Hörer, wenn da eine gewisse Offenheit herrscht. Jeder Zuhörer ist auch persönlich dabei, bei dem Hören. Und – das weiß man jetzt nicht, kann man nicht überprüfen, aber es klingt vielleicht auch ein bisschen romantisch wer weiß, vielleicht ist es auch gar nicht so- ich glaube trotzdem, dass jeder einzelne… wenn er nicht da wäre, würde es anders klingen. Er wird es dann nicht hören und wer weiß wann dann passiert, keine Ahnung.

Diese ganzen Dinge spielen beim Improvisieren eine Rolle, natürlich letzten Endes auch beim Spielen von komponierter Musik. Die Leute die da sind, für die man es spielt, so wie eine Geschichte, es macht einen Unterschied, wem ich es erzähle; wenn ich das einem Haufen Kindern erzähle, erzähle ich das anders als im Wirtschaftsministerium.“

CLH: „Wie würdest du jemanden von einer gelungenen Improvisation erzählen, die du gehört hast, wenn es den seltenen Fall gibt, dass du jemanden triffst, der sich mit dem Metier weniger auskennt und du würdest dich mit dem nett unterhalten und ihm erklären warum du grade ein Stück das du gehört hast gut fandst. Bei improvisierter Musik, würdest du da das Thema, daß die improvisiert haben zur Sprache bringen?“

CR: „Ich glaube nicht, ich glaube ich würde einfach sagen, dass ich gerade wahnsinnig geile Musik gehört habe und wenn es darauf kommt, dass er fragt oder dass ich dazu etwas sagen muss, dann würde ich auch sagen, dass es improvisiert war. Ich muss aber auch sagen, manchmal weiß ich das ja auch gar nicht. Selbst wenn ich selber spiele kommt es mir manchmal so vor: „es kann doch nicht sein, dass es uns das gerade erst eingefallen ist oder dass es gerade passiert ist“. Die Leute können es auch nicht sagen, die denken manchmal das ist schon ewig komponiert oder ausgedacht, es ist aber improvisiert. Und andersherum gibt es das bestimmt auch. Ich finde die Grenzen sind verschwimmend. Daher würde ich wahrscheinlich nicht sagen, dass das improvisiert wäre. Wenn er mich dann fragen würde „ja wie ist das?“, ja dann würde ich ihm ein paar Sachen sagen, wie ich davon denke und was gute Improvisation ist.“

CLH: „Da wollte ich eigentlich hin, genau.“

CR: „Aber das sind immer nur Annäherungen die ich dann von mir geben kann. Ich habe da kein hundertprozentiges Rezept und auch für mich selbst nicht. Denn das ist ja wiederum das mit dem Improvisieren, dass halt selbst beim Hörer so viel offen bleibt wie möglich, weil manchmal improvisieren ja Sachen mit, von denen man überhaupt keine Ahnung hatte. Das ist bestimmt schon vielen Leuten passiert, die live spielen. Ich hatte mit Christian Weber in Wien beim Grabenfest eine Aufführung wo wir zusammen improvisiert haben und da hat es dann irgendwann mittendrin zu regnen angefangen. Wir waren am Anfang (vor dem Regen) nicht ganz so im Groove, also wir haben uns einfach nicht so gefunden, wir haben unser Zeug gemacht, es war irgendwie gut aber nicht so „mhh“. Dann war der Regen dabei, als Triopartner, und dann war es der Hammer. Dann waren auf einmal die Ohren so geschärft und alles war richtig und der Raum und alles hat geatmet. Die Leute waren wahnsinnig froh, das hatte auch jeder gespürt, der im Raum war, dass das dann das Ding ist. Daher: da improvisieren Sachen auch eben mit, von denen man keine Ahnung hat. Und das ist jetzt sehr plakativ, dass man sowas hat, wo es einem richtig auffällt. Aber eigentlich ist es ja immer so, dass der Raum und wie, wo man ist und was da alles passiert, das ist da alles dabei.“

CLH: „Ok, dann habe ich noch eine Frage. Gibt es eigentlich in Wien so eine Improvisationsschule oder so eine Improvisationsästhetik, so, dass du sagen würdest `typisch Wiener Impro´?“
CR: „Hmmm, also in Wien war es mal eine wahnsinnig lange Zeit hipp, ganz still zu krisseln. Das war wichtig. Also man durfte am liebsten nichts hören. Aber da machen dann halt ein Paar Leute mit…. aber die hören dann eh gleich wieder damit auf. Aber eben dieses Krisseln, sag ich mal, und Quietschen und „bitte keine Melodie“ und schon gar kein Rhythmus oder so etwas, so ein bisschen nach dem Vermeidungsprinzip arbeitend, das, würde ich jetzt sagen, ist manchmal so ein bisschen Wiener Improvisation. Aber, wie gesagt, selbst die Wiener die ich kenne, machen das nicht nur. Aber das taucht halt immer wieder mal auf, so ein bisschen etwas minimalistisches, in alle Richtungen, dass es auf ein Instrument begrenzt bleibt oder auf eine kleine Bandbreite von Klängen, oder dass es so einen „minimal touch“ hat. Das finde ich, ist auch recht Wien.“
CLH: „Ist es heute immer noch so, dass man es so raus hört?“
CR: „Ich würde sagen nein. Ich würde sagen, das hat sich geändert, und das war gerade als ich hier her gekommen bin so. Um die 2002, 2004, irgendetwas in der Gegend irgendwann.“
CLH: „Also das war eigentlich die „alte“ Wiener Schule?“
CR: „Genau, die „alte Wiener Schule“. Und heute, ich weiß gar nicht ob es eine Wiener Schule gibt, aber es gibt eine relativ rege Szene, auch mit jungen Leuten, also jung… 25 oder so, die sehr interessant sind und auch eine eigene Art haben, die sich meiner Meinung nach eher durch eine Art von großer Vielfalt… und vor allem dann eben auch keine Angst vor Berührung mit Pop und diesen ganzen Sachen haben. Also die sind sogar oft sehr Hiphop beeinflusst, irgendwo zwischen Hip-Hop und Jazz angesiedelt. Die Leute aus der Jazz-Werkstatt zum Beispiel, Lukas König oder eben König Leopold und diese Sachen. Diese Jungen die sind alle wahnsinnig agil und machen alle und springen so ein bisschen auch durch die Genres. Das ist eher so ein bisschen das, was in Wien gerade so los ist. Dieses Hüpfen von dem einen zum anderen. Und eine Frische ist da auch drin, das fühlt sich gut an, muss ich sagen. Das ist eher etwas was mir gefällt. Klar ist mal eine blöde Idee dabei, aber das macht nichts. Es passiert etwas und natürlich, weil es auch Wien ist, das ist natürlich auch ein bisschen typisch: die suchen immer so ein bisschen irgendein Extrem.

Bei „Wetten Dass“ zum Beispiel waren immer die österreichischen Wetten die wildesten als ich Kind war. Und einmal hab ich eine gesehen, wo zwei österreichische Typen gesagt haben, sie fangen in einem Glaskäfig zwölf Fliegen mit dem Mund. Also da hat ein Typ wirklich mit dem Mund die Fliegen gefangen und der hat das auch geschafft. Der hat keiner einzigen Fliege weh getan. Hat natürlich immer total doof ausgesehen. Aber das waren für mich die österreichischen Wetten, die machen so Sachen so, das gibt´s nicht. Und so ein bisschen ist das in der Musik auch. Die versuchen dann diese Art zu toppen, ich kann es nicht genau sagen und das passiert derzeit für mich auf einem – für mich, ich bin kein Musikkritiker oder so, ich kann das nicht sagen – auf einem hohen musikalischen Niveau, wenn ich das mal so sagen darf. Was ich auch finde, was neu ist in Wien. Das war, finde ich, auch nicht immer so. Vorher war es nur das Extrem. Bands in Wien die man noch kennt: Dradiwaberl oder so etwas. Ich weiß nicht ob du von denen schon einmal etwas gehört hast. Das ist so extrem Show-Rock, aber die konnten alle nicht gut spielen, deswegen haben sie auf der Bühne gepoppt und dann irgendwie hingeschissen oder so ein Zeug. Das war dann so wieder ein Extrem, aber das war jetzt nicht musikalisch wirklich interessant dadurch sondern eher durch diesen aktionistischen Teil.“

CLH: „Wann war das?“

CR: „Also Dradiwaberl, diesen Stefan Weber den gibt es immer noch. Das waren die 80er. Falco hat glaube ich bei denen angefangen als Bassist oder so etwas.“

CLH: „Für die Klatschspalten: Gibt es in der näheren Impro-Szene einen typischen Wiener Musiker?“

CR: „In der Improszene… ja das sind dann schon die alten, also die jungen eigentlich gar nicht. Da denke ich jetzt sofort an die Leute mit denen ich zusammenspiele, aber ob sie das dann natürlich sind, das weiß ich nicht.“

CLH: „Ich meinte jetzt so ob es einen Stil von Typ gibt, eine bestimmte Art Mensch sozusagen, oder dass es so eine ähnliche Kleidung gibt oder so etwas. Hat man es denen irgendwie einmal angesehen, wenn man auf einem Festival war und sich mit jemandem unterhalten hat?“

CR: „Ich glaube nicht, aber es war auch überall. Die Jugend hat sich im alt aussehen geübt und alle haben einen Bart gehabt oder sowas, haben alle ausgesehen wie 45, waren aber erst 22.“

CLH: „Ok, vielen Dank, Christian Reiner, für dieses Gespräch.“

CR: „Was mir noch einfällt: Wer schon – das ist aber gar kein Wiener – aber wer eben so eine österreichisch-Wiener Improvisationsfigur ist, die es eben auch tatsächlich nur hier geben kann, das ist der Karl Ritter. Falls du von dem schon einmal gehört hast. Das ist ein Gitarrist. Der ist auch zwischen allen Stühlen und wie der spielt, oder was der manchmal für eine Attitüde hat, auch an Wurstigkeit und auch an Neuerfindung, was er so versucht – das ist auch manchmal so mit Raumklängen, das geht fast in die esoterische Richtung – aber es hat immer so eine Eigenheit, so eine eigene Idee. Und das zum Beispiel finde ich etwas, was ich von den Leuten in Wien einfach kenne. Ich kann es nicht genau sagen, es hat so eine Verbundenheit… (jetzt muss ich aufpassen dass ich nicht esoterisch oder so etwas werde).. aber es hat eine Verbundenheit zu der ganzen Natur. Also der Karl Ritter der sieht schon einmal aus wie ein Stein, das ist schon einmal das erste und dann spielt er auch so. Das sieht so natur aus. Und wen wir ja auch kennen, der Franz Hautzinger, der ist zum Beispiel auch auf der Bühne so wie er ist und das finde ich, ist sehr wienerisch. Oder was ich hier in Wien kennengelernt habe, dass die Leute dann einfach so sind wie sie sind und sich nicht groß verstellen. Das ist vielleicht auch eine Attitüde, die man hier einfach hat. Wenn man jetzt in Deutschland in eine Schauspielerkneipe oder so etwas geht, dann produzieren sich alle. Und da würde hier einer sagen „Oida wos is mit dia, wieso bist ned normal?“ oder so. Die kommen dann hier immer so ein bisschen runter und das ist auch nicht echter oder nicht besser oder sonst  was, aber es hat irgend so eine Art von Verbundenheit, mit dem was da so ist. Und da habe ich so ein paar Figuren, also wenn mir die einfallen, da denke ich an Wien.“

CLH: „Super, gut! Vielen Dank.“

[I herewith kindly ask you to respect the authors rights especially of the interviewed musicians and not to use it without asking our permission. Thanks for your solidarity!]

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