NINA POLASCHEGG

[Aus Respekt für die beteiligten Musikerinnen und Musiker fragen Sie bitte, falls Sie diese Interviews zitieren oder weiter verwenden wollen, unbedingt bei den Befragten und dem Autor (C.L. HÜBSCH) um Erlaubnis. Vielen Dank für die Solidarität und viel Vergnügen beim Lesen dieser gerne kostebereit gestellten Lektüre.]

CLH: „Ich habe jetzt hier als Gesprächspartnerin Nina Polaschegg, Musikjournalistin und Kontrabassistin, die auch improvisiert und sich im Bereich des Journalismus mit der Improvisierten und der Neuen Musik befasst. Kann ich das so sagen?“

NP: „Stimmt, ja, und gelegentlich noch andere Dinge, naja, Jazz und ganz ganz selten, viel zu selten, die alte Musik.“

CLH: „Nina, welche Kriterien sind für dich als Hörerin für eine Improvisation wichtig?“

NP: „Hilfe, ich habe so etwas befürchtet. Ich weiß gar nicht, ob man die Kriterien wasserdicht machen kann. Schon gar nicht spät abends frierend bevor die letzte U-Bahn fährt, in 1 ½ Minuten Interviewdauer insgesamt.“

Ich suche im Gesamten schon immer nach irgendeiner Art der Weiterentwicklung. Wobei ich nicht weiß, was Weiterentwicklung wirklich genau sein kann. Dann gibt es aber auch wieder Phasen wo ich sage „nein, das ist gut gespielt“. Es hat nichts davon was man jetzt „neu“ nennen möchte und es kann trotzdem eine sehr gute Improvisation sein.“

CLH: „Also dich interessiert das Neue, in dem Sinne, dass du findest „das habe ich so bis jetzt noch nicht gehört?“

NP: „Das interessiert mich auf jeden Fall auch, aber es ist es nicht allein. Denn wie gesagt, manchmal gibt es die Situation, da klingt eine Improvisation überhaupt nicht neu, sondern das hat man alles schon irgendwie gehört, aber es ist trotzdem eine sehr interessante Improvisation und ein wunderbares Konzert.“

CLH: „Wenn du sagst, da hat etwas gestimmt – gibt es dann ein Kriterium, wie du das benennen könntest, woran du das festmachst?“

NP: „Notwendig ist auf jeden Fall so etwas wie eine Binnenkommunikation. Wenn ich es jetzt noch genauer beschreiben würde, müsste ich jetzt wahrscheinlich von Spielidiom zu Spielidiom unterschiedliche Beispiele nennen, weil natürlich eine Kommunikation in sehr reduktionistischer Spielform ganz anders funktioniert als im Free-Jazz oder im pointillistischen Spielen. Man würde anderes beschreiben. Es geht mir natürlich nie um plakative Interaktion, sondern wirklich um sehr sehr subtile, eng verzahnte, energetisch sehr dichte. Und energetisch dicht heißt nicht „viel-spielen“ und nicht „laut-spielen“, sondern es sind natürlich die verschiedensten Energieformen gemeint.“

CLH: „Ist Improvisation eine Kommunikationskunst?“

NP: „Das ist auf eine gewisse Art und Weise jede Musik.“

CLH: „Kannst du konkretisieren was Kommunikation dann bedeutet?“

NP: „Also Kommunikation heißt nicht „ich will Dir jetzt irgendwie eine Message aufs Auge drücken“, um das jetzt mal plakativ zu sagen. Das hat nichts damit zu tun, was ich auch verbal sagen könnte, denn dann bräuchte ich die Musik nicht. Meine tägliche Arbeit ist, über Musik zu schreiben und ich stoße jedes Mal an die Grenze, dass ich Musik nur partiell beschreiben kann und Musik nur partiell umschreiben kann. Ich kann sie mit Worten nicht genau fassen. Das wäre auch öd, weil dann wäre sie überflüssig. Deshalb fällt es mir auch immer so schwer, diese Fragen zu beantworten und deshalb versuche ich auch gerade, mich darum zu drücken.“

CLH: „Habe ich gar nicht den Eindruck. Deswegen wäre jetzt auch die nächste Frage: Muss dann ein Improvisationsmusiker ein guter Kommunikator sein?“

NP: „In welcher Hinsicht Kommunikator? Verbal natürlich nicht. Das ist auch ein typisches Beispiel an Interviews. Also mir hat mal eine Redakteurin gesagt, „da hättest du unbedingt noch einen O-Ton bringen müssen“ und „mehr O-Töne, mehr O-Töne“.  Ich habe geantwortet, dass, wenn ich einen Musiker vor mir habe, der sich schwer tut mit dem Verbalisieren, ich ihn nicht vorführen werde in der Sendung. Dann nehme ich vielleicht 1,2 O-Töne, dann hat man den mal gehört, oder sie, und sage den Rest selber, paraphrasiere das, was er oder sie mir gesagt hat. Musiker müssen nicht gut reden können. Ihr Job ist es, gut Musik zu machen. Es gibt zwar Musiker, die sehr sehr gut reden können, aber es gibt einfach Musiker, die tun sich wahnsinnig schwer, über ihre Musik zu reden, obwohl man merkt, dass ei viel darüber nachdenken. Und das macht nichts, finde ich. Meintest du das mit Kommunikator?“

CLH: „Nein, das meinte ich nicht. Ich versuche mit der Frage eigentlich nochmal da nachzuhaken: was ist eigentlich genau diese Kommunikation [zwischen den Improvisierenden], von der du gesprochen hast? Kann man die möglicherweise noch deutlicher fassen? Ist da Psychologie mit drin im Spiel, wenn dann solche Musiker miteinander spielen? Du spielst ja selber auch improvisierte Musik. Ist Psychologie als Teil der Kommunikation wichtig oder was bedeutet Kommunikation dann?“

NP: „Die Frage ist was du unter Psychologie genau verstehst.“

CLH: „Die Befindlichkeit der Spieler. Die Befindlichkeit, wenn man auf die Klänge vom anderen reagiert.“

NP: „Wenn das jetzt rein subjektiv emotional gemeint ist, ist es eher am Rande der Fall. Aber da du als Individuum spielst, kannst du dein „Ich“ ja nicht ausschalten, das geht ja gar nicht. Das kannst du wahrscheinlich nicht einmal als Komponist, aber als Spieler schon gar nicht. Weder als Improvisatorin noch als Interpretin. Es spielt natürlich auch immer mit hinein ob du müde bist, ob du gerade sauer bist, ob das eine ruhige Konzertatmosphäre ist oder ob da getratscht wird, wie auch immer… Also Kommunikation heißt nicht sich ausdrücken, sich darstellen. Das hat mit Kunst nichts zu tun. Die persönliche Befindlichkeit kann ich nicht trennen, aber es geht keinesfalls darum, in der künstlerischen oder musikalischen Interaktion eine subjektive Befindlichkeit zu kommunizieren.“

CLH: „Aber wenn jetzt zum Beispiel ein plötzlicher Klang von irgendjemandem kommt, oder etwas emotionales, reagieren die Musiker dann auf der Verstehensebene? Werden die Klänge dann verstanden?“

NP: „Natürlich gibt es unterschiedliche Ebenen des Verstehens, denn wenn ich jetzt einen lauten Ton spiele, ist es erst einmal ein lauter Ton. Und was der Ton für mich, subjektiv bedeutet, ist sowieso uninteressant. Es geht darum, was er für mich in meinem musikalischen Kosmos bedeutet; für mich bedeutet das vielleicht X und du hörst diesen Ton und interpretierst diesen Ton aber in deinem musikalischen Kosmos und das kann Y oder A oder B sein. Das heißt, Interpretation ist zunächst einmal eine rein subjektive Sache, natürlich, je mehr ich im selben Klangkosmos spiele, desto mehr intersubjektive Verständlichkeit habe ich, das heißt desto eher ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir den selben Ton vielleicht ähnlich interpretieren. Aber es ist noch lange kein Muss-Kriterium für eine gelungene Interaktion oder Kommunikation, dass man dasselbe versteht. Sondern es ist immer interessant was für eine Anschlussreaktion passiert. Wenn du aus dem gehörten Klang eine Anschlussreaktion A oder B oder C setzt, stellt sich dann die Frage „kann ich da wieder schlüssig anschließen?“. Und dann stellt sich die Frage „was heißt denn jetzt schlüssig?“. Von daher habe ich an sich noch keine einzige Frage beantworten können. Es ist ein stetes Nachdenken darüber, aber ich kann diese Begrifflichkeit immer noch nicht fassen, wenn man wirklich differenziert darüber nachdenkt.“

CLH: „Aber vielleicht geht ja der Versuch das fassen zu wollen, am Eigentlichen vorbei. Ich versuche in dem Fall nur zu fassen: was bedeutet es, dass Klänge bei jemand anderen ankommen? Es gibt so etwas wie eine Ebene des Einverständnisses, zwischen Musikern wenn die Musik als Improvisation gut funktioniert. Beurteilst du Improvisation auch als Kommunikationskunst, darauf hin?“

NP: „Ja, indirekt schon. Ich verwende diese Begrifflichkeit aber bewusst ganz selten. Ich verwende den Begriff der Kommunikation nicht in Radiosendungen und zwar ganz gezielt nicht, weil der Begriff Kommunikation im landläufigen eher mit „verbaler Kommunikation“ gleichgesetzt wird und genau das hat damit ja nichts zu tun. Wie gesagt, es geht nicht um eine „verbale Message“ oder so, Protestsongs oder irgendwie sowas. Improvisieren als Protest und diese ganzen Geschichten, das funktioniert nicht so wirklich.“

CLH: „Wenn du selber mit jemandem improvisierst, woran merkst du dass es gut wird?“

NP: „Merke ich das?“

CLH: „Gut, schöne Gegenfrage [lacht]. Willst du dazu noch etwas sagen?“

NP: „Ich merke es selber manchmal nicht. Manchmal weiß man überhaupt nicht genau „war das jetzt gut / war das nicht“. Manchmal hat man das Gefühl es war total scheiße und es kommt aber sehr positive Rückmeldung. Manchmal ist es vielleicht umgekehrt, manchmal kann man es gar nicht einschätzen. Beim Spielen ist für mich auch kein Raum zur Bewertung. Das eigenen Spielen ist eine ganz andere Ebene als das Zuhören. Ein Beobachter zweiter Ordnung hat hier eine spezielle Funktion. Natürlich muss ich mich selbst beim Spiel quasi hörend beobachten und den Gesamtkosmos beobachten, damit ich anschließen kann, aber das ist nicht das Zuhören einer Zuhörerposition. Es ist ein anderes Wahrnehmen. Dadurch entsteht bei mir ein Gemisch aus Kopfwahrnehmung und Bauchwahrnehmung, also das, was als Intuition bezeichnet wird. Wobei Intuition ja nie aus dem heiteren Himmel kommt. Das ist ja wirklich gründlich untersucht worden. Es ist ein anderes Hören, als wenn ich im Publikum sitze und einer Improvisation zuhöre.“

CLH: „Heißt verstehen dann wahrnehmen?“

NP: „Wahrnehmen ist nicht gleich mit Verstehen. Wahrnehmen ist die Grundvoraussetzung und man könnte auch sagen „verstehendes Wahrnehmen“, wobei Verstehen dann heisst, das Wahrgenommene in (s)ein System einzuordnen. Und das passiert beim Zuhören genauso wie beim selber spielen. Nur auf anderen Ebenen.“

CLH: „Ich verstehe dich jetzt so, dass man eigentlich auf zwei Ebenen gleichzeitig unterwegs ist. Einmal auf der direkten Ebene, auf der das analysierende Hören überhaupt keine Rolle spielt und auf einer anderen Ebene, auf der eine gewisse Einordnung von dem, was gerade passiert, immer noch eine Rolle spielt. Versucht man dann noch zu steuern?“

NP: „Ja, aber man steuert beim Spielen natürlich mit dem Wissen um offenen Ausgang. Also man setzt natürlich etwas, einen Klang, –  was heißt hier „man“, ich kann ja jetzt nur von mir sprechen und nicht für sämtliche Improvisierende, die ihr Spiel zum Teil anders beschreiben würden  – vielleicht bewusst als Steuerung, aber nicht mit der Erwartungshaltung „da muss jetzt das oder das oder das anschließend kommen“, sondern „da könnte das“, aber natürlich ist die Offenheit wichtig, zu wissen, dass ja etwas anderes auch passieren kann. Warum improvisieren wir? Genau deshalb, weil wir eben nicht genau wissen, was im nächsten Moment konkret passieren wird. Wir können zwar Erwartungen haben, ja wir haben alle Erwartungen, grundsätzlich immer, aber die Erwartungen sind eben nicht einbetoniert, sie müssen nicht eintreffen. Sie können eintreffen. Letzten Endes haben wir aber schon Erwartungen. Der gewisse Rahmen in dem wir wissen „das wird passieren wird oder das wird nicht passieren“, das gibt es ja schon. Man denke an Spielidiome oder ImprovisationskollegInnen, mit denen man auf der Bühne steht. Oder an eingespielte Teams. Wenn ich mit dem Bruno Strobl oder dem Christoph Schiller spiele, weiß ich, dass keiner von den beiden aufstehen wird und Schlager singen…“

CLH: „Ich komme jetzt noch zu zwei kurzen abschließenden Fragen zu Wien. Gibt es eine typische Wiener Improvisationsmusik?“

NP: „Ja, Jein, sagen wir so. Also vor zehn Jahren hätte ich gesagt „ja, würde man erkennen“. Jetzt ist es natürlich viel durchmischter, das ist klar. Ich denke aber auch gar nicht wirklich lokal bezogen. Aber vielleicht gibt es das schon vielleicht ist es auch von außen eher zu hören.“

CLH: „Ich lass das mal so stehen. Meine abschließende Frage für die Klatschspalte wäre ob es einen typischen Wiener Improvisationsmusiker gibt, dem du auf einem Festival begegnest, den du vielleicht nicht persönlich kennst, aber denkst, ah ja,der ist typisch Wiener?“

NP: „[seufzt] Was soll ich mit Klatschspalten. Mit Klatschspalten habe ich abgeschlossen als ich meine Diss abgegeben hatte. Ich habe schließlich ein Jahr lang Klatschzeitungen durchschaut.“

CLH: „Ok lass die Klatschspalte weg. Gibt es einen Typ? Also gab ja Zeiten wo man Berliner ganz gut erkannt hat oder?“

NP: „Ja schon, aber heute?  „DIE Wiener Improvisationsszene“ zwischen den Free-Jazzern und Geräusch betonten Leuten und dann den jungen Elektronikern, da sind wirklich unterschiedliche Szenen, auch wenn sie sich erfreulicher Weise immer wieder auch mischen. Es ist, denke ich, insgesamt eher so, dass sich lokale Szenen immer mehr auflösen und nicht mehr so deutlich voneinander abzugrenzen sind wie noch vor 20, 30 Jahren.“

[Aus Respekt für die beteiligten Musikerinnen und Musiker fragen Sie bitte, falls Sie diese Interviews zitieren oder weiter verwenden wollen, unbedingt bei den Befragten und dem Autor (C.L. HÜBSCH) um Erlaubnis. Vielen Dank für die Solidarität und viel Vergnügen beim Lesen dieser gerne bereit gestellten Lektüre.]

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